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Moskaus außenpolitischer Pragmatismus

Während die Opposition eine Verteidigung russischer Interessen in den Ex-Sowjetrepubliken fordert, setzt das Außenministerium auf den stetigen Aufbau gegenseitiger Beziehungen  ■ Von Klaus-Helge Donath

Monatelang sah sich das russische Außenministerium harscher Kritik ausgesetzt: Es hätte, so Jelzin-Gegner, nach dem Zerfall der Sowjetunion die Beziehungen zum sogenannten „nahen Ausland“ – den ehemaligen Sowjetrepubliken– vernachlässigt. Doch die Vorwürfe kamen vornehmlich von jener Seite, die das „nahe Ausland“ immer noch als Inland betrachtet. Für Nationalkonservative, Chauvinisten und eine ganze Reihe Militärs bilden jene nun selbständigen Staaten den „natürlichen Vorgarten“ Rußlands, das quasi ein Naturrecht besäße, dort seine legitimen Interessen nach eigenem Gutdünken durchzusetzen.

Ziel des russischen Außenministers Andrej Kosyrew war es dagegen, aus dem Fahrwasser des russisch-sowjetischen Imperialismus herauszusteuern. Der Verlust der imperialen Identität sollte durch ein Anknüpfen an positive, nicht imperialistische Traditionen in der russischen Geschichte aufgefangen werden. Doch das war leichter gesagt denn getan. Denn tatsächlich ist die Zurückhaltung gegenüber dem nahen Ausland ein Reflex der Westorientierung Kosyrews. In seinem Konzept steht und fällt die Reformpolitik Rußlands mit der Unterstützung des Westens. Ein härteres Vorgehen gegen die Republiken würde dort nicht nur neue antirussische Ressentiments schüren, sondern auch den Westen alarmieren.

Der Außenminister propagierte nie eine GUS-simultane Reform. Wohl in weiser Voraussicht, ein konzertiertes Vorgehen würde Reformen in Rußland verzögern. Im Vergleich mit den anderen Staaten prescht Moskau geradezu voran. Das Fehlen eines Konzeptes gegenüber dem nahen Ausland erlaubte es jedoch den Militärs, sich vor Ort zu inoffiziellen Entscheidungsträgern aufzuschwingen. In zahlreichen Konflikten mischen sie mit, ohne eine Order aus Moskau erhalten zu haben.

In den letzten Wochen hat die Kritik der heimischen Rechtsausleger an Kraft und Intensität nun aber nachgelassen. Zum einen liegt das an Jelzins Erfolg im Vertrauensreferendum. Zum anderen hängt es mit dem entschiedeneren Auftreten und der pragmatischeren Herangehensweise zusammen, die die Außenpolitik in den vergangenen Monaten kennzeichnete. In Verhandlungen mit der Ukraine ließen sich Fragen klären, die die Emotionen auf beiden Seiten zwei Jahre lang bestimmten. Gleichzeitig verdichten sich die Beziehungen Moskaus zu „seinen“ Ex-Republiken – auch auf der Ebene der Fachministerien – wieder. Langsam stellt sich die Erkenntnis ein, daß es ohne die anderen nicht auskommt.

Trotz der Schwierigkeiten mit der russischsprachigen Minderheit in den baltischen Republiken gestalten sich die Beziehungen erstaunlich nüchtern. Rußland droht zwar mit einschneidenden Maßnahmen, sollte die Diskriminierung anhalten, ansonsten laufen die Geschäfte routinemäßig weiter. Mit Litauen, das als erstes Land einen kompromißlosen antisowjetischen Kurs steuerte, einigte sich Moskau über die Nutzung des Korridors in die russische Exklave Klaipeda. In Lettland waren es die Militärs, die einen von Jelzin angeordneten Truppenrückzugsstopp unterliefen. Aus technischen Gründen ließe sich das nicht durchführen.

Komplizierter sind die Beziehungen zu den Staaten des Kaukasus. Mit Georgien kam man überein, bis 1996 die restlichen Truppen abzuziehen, auf militärischem Gebiet aber weiter zusammenzuarbeiten. Die Absichtserklärungen werden aber vom Krieg in Abchasien überschattet: Russische Soldaten haben immer wieder auf seiten Abchasiens gegen Georgien gekämpft. Und: Während Abchasien ein Teil der Russischen Föderation werden möchte, hat Moskau dieses Anliegen zurückgewiesen. Zusätzlich angeheizt wird die Lage von den Freiwilligen, die die Konföderation der nordkaukasischen Bergvölker den abchasischen Soldaten zur Hilfe schickt. Denn sie gehören zwar zu Rußland, stehen Moskau aber mit äußerster Skepsis gegenüber. Die Vorstellung, der Abchasien-Krieg könnte auf den russischen Süden übergreifen, versetzt Rußland in Panik. Wahrscheinlich hat es deshalb nichts gegen die Freiwilligen unternommen. Offiziell bekräftigte Moskau, die UNO und Rußland sollten Truppen in das Kriegsgebiet schicken. Einen Vorschlag, den auch Georgiens Präsident Schewardnadse schon vorgebracht hat. Sollten die Kriegsparteien den Waffenstillstand brechen, droht Moskau mit wirtschaftlichen Sanktionen.

In Südossetien, das zu Georgien gehört und einer der ersten Konfliktherde war, gelang es russischen Truppen, den Frieden zu bewahren. Südossetien möchte an Nordossetien angegliedert werden, das zu Rußland gehört. Bisher schenkte Moskau diesen Wünschen kein Gehör. Aus gutem Grund. Würde Rußland dem Ansinnen der Separatisten nachgeben, verstieße es nicht nur gegen internationales Recht. Es würde ein Exempel statuieren, das in der Russischen Föderation sofort Schule machte. Einige autonome Subjekte der Föderation könnten ihr Autonomiestreben in den Wunsch nach staatlicher Selbständigkeit verkehren.

Relativ wenig Konfliktstoff birgt das Verhältnis Moskaus zu Mittelasien. Hier sind es eher die ehemaligen Satelliten, die ein größeres Engagement Rußlands wünschen. Doch Kosyrew bleibt auf Distanz: Eine zu enge Verknüpfung mit der islamischen Welt könnte die angestrebte Westorientierung gefährden.

Erhebliche Verbände stehen noch in Tadschikistan. Militärs griffen in den Bürgerkrieg ein, obwohl ihnen eigentlich eine befriedende Rolle zugedacht war. Rußlands Interesse an Tadschikistan hat strategischen Charakter. Solange Duschanbe nicht in der Lage ist, seine Grenzen zu bewachen, übernimmt Moskau diese Aufgabe: Da zwischen den Ex-Republiken und Rußland noch kein geregelter Grenzverkehr existiert, fürchtet man einen „unkontrollierten Zufluß“ aus allen Richtungen.

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