: Die Gefahr der unbekannten Nazis
1.707 fremdenfeindliche Straftaten im vergangenen Jahr in NRW / 88 Prozent der Täter lebten vor der Tat „völlig unauffällig“ / 1.200 Rechtsradikale in Sachsen-Anhalt ■ Von Walter Jakobs und Eberhard Löblich
Düsseldorf/Magdeburg (taz) Nach Angaben des Düsseldorfer Innenministers Herbert Schnoor hat es im vergangenen Jahr 1.707 fremdenfeindliche Straftaten in Nordrhein-Westfalen gegeben; darunter einen vollendeten Totschlag und zwei Totschlagversuche sowie 138 Brandanschläge und 206 Körperverletzungsdelikte.
Die Statistik der Behörden belegt, daß der ausländerfeindliche Terror von Jahr zu Jahr gewalttätiger wird. Im Vergleich zu 1991 stieg die Zahl der Gewaltdelikte im letzten Jahr um 350 auf 699 Fälle an. 88 Prozent aller festgestellten Täter haben laut Innenminister Herbert Schnoor „bis zur Tatbegehung völlig unauffällig gelebt“. Bei lediglich 12 Prozent habe es einen „rechtsextremistischen Vorlauf“ gegeben. Die „größte Gefahr für den inneren Frieden“ gehe derzeit vom „unorganisierten Rechtsextremismus aus“, meinte der Minister dementsprechend. Dieser komme aus dem Zentrum der Gesellschaft.
Schnoor, der gestern den Verfassungschutzbericht 1992 für Nordrhein-Westfalen vorstellte, dazu wörtlich: „Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhaß und Rassismus sind nicht mehr allein ein Markenzeichen rechtsextremistischer Organisationen, sondern Teil des gesellschaftlichen Alltags bis weit in das Spektrum der demokratischen Parteien hinein.“
Über die organisierten Rechtsextremisten hat der nordrhein- westfälische Verfassungsschutz nach den Worten des Ministers einen „guten Überblick“. 8.400 Mitglieder (1991: 8.000) sind in den zwanzig rechtsradikalen Gruppen und Parteien in Nordrhein-Westfalen aktiv. Am stärksten zugelegt haben die rechtsradikalen „Republikaner“ mit 2.100 Mitgliedern (1991 noch 1.500).
Die größte rechtsradikale Organisation ist nach wie vor die Deutsche Volksunion (DVU) mit konstant 5.000 Parteigängern. Nach dem Bericht gibt es in Nordrhein- Westfalen etwa 400 neonazistisch orientierte Skinheads. Ihr Anteil an den fremdenfeindlichen Straftaten lag bei 6 Prozent. Im Bundesgebiet insgesamt gehen mehr als 25 Prozent der fremdenfeindlichen Gewalttaten auf das Konto der Nazi-Skins.
Auch nach den jüngsten Überfällen von Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei PKK auf türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland hält Innenminister Schnoor von einem Verbot der PKK wenig. Dadurch werde lediglich eine den Nachrichtendiensten bekannte Organisation zerschlagen und die weitere Beobachtung der PKK-Mitglieder erschwert.
Minister Schnoor äußerte die Befürchtung, daß es nach der Schießerei von Bad Kleinen erneut zu Anschlägen von der RAF kommen könnte. Die Gefahr habe sich erhöht.
Magdeburg: Skins greifen Linke an
Der eindeutige Schwerpunkt des Verfassungsschutzes in Sachsen- Anhalt liegt im Bereich des Rechtsextremismus. Nach Angaben von Innenminister Hartmut Perschau gibt es in Sachsen-Anhalt etwa 1.200 militante Neonazis und Skinheads. Die Zahl gewalttätiger Angriffe auf Ausländer und Asylbewerber sei in Sachsen-Anhalt rückläufig, sagte Perschau, als er den ersten Verfassungsschutzbericht des Landes vorstellte. Immer mehr treten dagegen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und den etwa 450 Autonomen in den Vordergrund. Nach Angaben des Verfassungsschutzpräsidenten Wolfgang Heidelberg geht dabei die Gewalt fast stets von den Rechtsextremisten aus.
Unter Beobachtung stehen in Sachsen-Anhalt wie in NRW auch die „Republikaner“. Die Schönhuber-Partei hat in Sachsen-Anhalt rund 500 Mitglieder und ist damit stärker als alle anderen rechtsradikalen Parteien zusammen. Den ersten Bundestagsabgeordneten ihrer Partei, den von der CDU übergetretenen Altmärker Rudolf Krause, haben die Reps gerade zum neuen Landesvorsitzenden gekürt.
Nach wie vor seien auch die Geheimdienste der ehemaligen Sowjetunion in Sachsen-Anhalt aktiv, sagte Heidelberg. Agenten sollen bereits mehrfach versucht haben, ehemalige Stasi-Mitarbeiter, aber auch andere Menschen anzuwerben. Erst im Herbst sei ein hoher Offizier des militärischen Geheimdienstes GRU zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann war beim Versuch, einen hohen Polizeibeamten anzuwerben, festgenommen worden.
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