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Eher ein bockiges Kind

Ulrike Krumbiegel, Schauspielerin am Deutschen Theater – Ein Portrait zum Spielzeitende  ■ Von Petra Kohse

Als Theaterstadt betrachtet, ist Berlin ein Sammelbecken für Darsteller reiferer Männerrollen. Ob an der Schaubühne, am Maxim- Gorki-Theater oder am Deutschen Theater – an charakterstarken Vierzigern und Fünfzigern ist kein Mangel. Selbst das Berliner Ensemble wird seine anämische Tendenz in dieser Hinsicht ab der nächsten Spielzeit mit Gert Voss überwinden können.

Auch im jüngeren Fach gibt es eine förderliche Konkurrenz zwischen Daniel Morgenroth, Götz Schubert und Michael Maertens. Eine Ophelia allerdings, eine Julia oder Lulu ist hier viel schwerer zu besetzen. Sicher gibt es sie, diese hintergründigen und abendfüllenden Darstellerinnen junger Frauenrollen, aber die Gelegenheit, ihr Talent entsprechend zu zeigen, hatte in Berlin bisher eigentlich nur eine: Ulrike Krumbiegel vom Deutschen Theater.

Wenn sie die Bühne beispielsweise in Thomas Langhoffs Inszenierung als Kleistsches Käthchen betritt, dann vergißt man alle bisher gesehenen hilflosen Blondmädchen, die die Männerwelt durch ihre Ergebenheit zermürben. Die Krumbiegel – klein, drahtig und mit roter Lockenmähne – zeigt eher ein bockiges Kind denn einen zarten Engel. Sie platzt schier vor Ungeduld über die männliche Dummheit, und das alleinige Vertrauen auf ihr Gefühl gibt ihr eine fast aggressive Überlegenheit. Als Käthchen spielt Ulrike Krumbiegel die Penthesilea gleich mit.

Auch als Eve in „Der zerbrochene Krug“, einer anderen Figur Kleists in Langhoffs Regie, unterlegt sie die Passivität ihrer Rolle mit einer gestischen Hochspannung: Nicht einmal schüttelt sie den Kopf, um eine Frage zu verneinen, sondern mindestens zehnmal. Und wenn der Dorfrichter Adam sie einschüchtern will, dann streckt sie den Kopf vor wie ein Huhn, zittert, klappt den Mund auf und zu, weicht aber keinen Zentimeter von der Stelle. Auch wenn sie aus Angst fast epileptische Anfälle bekommt, steht sie ihre Frau, weil sie gefühlsmäßig weiß, was Recht und was Unrecht ist. Als Eve endlich an der Reihe ist, den Hergang jenes mißlichen Abends zu erzählen, an dem der Richter den Krug zerbrach, da spricht sie zunächst stockend und von Krämpfen durchzuckt.

Wer aber fürchtet, sie würde gleich zusammenbrechen, täuscht sich. Sie stottert sich nur warm. Bald redet sie wie ein Wasserfall, zieht ihre Stimme quer durch die Oktaven und behält dabei immer diesen warnend hysterischen Kick bei. Wehe, wenn sie losgelassen! Jede von Krumbiegels liebenden Frauen ist eine Johanna von Orleans, alle haben sie jene emotionale Unbedingtheit, die die gesellschaftliche Übereinkunft von maßvoller Weiblichkeit ebenso unterminiert wie jegliche feministischen Emanzipationsbestrebungen.

Was können diese Frauen, die sich, wenn auch siegreich, so doch in kaum lebbarem Maße ihren Gefühlen preisgeben, heutigen Zuschauerinnen sagen? Stehen da nicht am Ende lauter – gut gespielte – Anachronismen auf der Bühne? Frage an Ulrike Krumbiegel im Foyer der Kammerspiele. „Ich bin froh, daß ich diese Frauen spiele“, antwortet sie. „Das ist ein Grund, weshalb ich zum Theater gegangen bin: um verschiedene Varianten von Liebe durchzuspielen. Ich denke, daß das für die Leute, die unten sitzen, der große Traum ist. Viele sind in ihren Emotionen beschränkt und verklemmt und träumen davon, solche absoluten Situationen zu erleben. Man kann den Leuten einen Anstoß geben. Vom Käthchen zum Beispiel können sich alle eine Scheibe abschneiden.“

Ulrike Krumbiegel ist 32 und seit zehn Jahren am Theater. Nach dem Schauspielstudium an der Ernst-Busch-Schule in Berlin ging sie 1983 ins Engagement nach Schwerin. Seit 1986 ist sie am Deutschen Theater. Hier schmachtet sie als vermeintliche Jüdin Recha in Lessings „Nathan“ (Regie: Friedo Solters) nach dem jungen Tempelherrn, hier wälzt sie sich als androgyner „Peter“ auf dem Boden, weil Horvaths Don Juan (Regie: Michael Gruner) sie, wie alle anderen auch, verlassen hat. Ein Bühnenleben für die Liebe.

Auch vor der Kamera hat sie schon mehrfach gestanden, beispielsweise für den „Bruch“ von Frank Beyer und für Langhoffs „Der Aufstand der Fischer von St.Barbara“. Ihr Wunschstoff für einen Film wäre eine Dreiecksgeschichte. „Eine Frau und zwei Männer. Da erlebt man einerseits wirklich etwas vor der Kamera, andererseits ist es aber ja doch nur ein Spiel. Es passiert einem nichts. Man muß sich nicht wirklich trennen und Schmerzen erleiden.“ Emotionales Lebenstraining mit Netz. Hat also auch Ulrike Krumbiegel Angst vor dem großen Gefühl? Bestimmt hat sie. Warum ausgerechnet sie nicht? Aber sie hat die Möglichkeit, spielend zu entweichen in eine zweite Wirklichkeit.

Mit Thomas Langhoff arbeitet Ulrike Krumbiegel am liebsten. Bei ihm würde sie es auch wagen, mal in eine deftig-komische Rolle zu schlüpfen. Daß sie das Talent dazu hat, zeigt sich bei ihrem Auftritt als Hure in „Der Eismann kommt“, einer Inszenierung Rolf Winkelgrunds. Gern würde sie auch einmal an einem westdeutschen Haus einige Monate lang gastieren, aber Langhoff läßt sie nicht weg. Für seine traditionell psychologische Regiearbeit ist Ulrike Krumbiegel auch wie geschaffen. Bei ihren Figuren spielt sich das Wesentliche innen ab. Gleichzeitig setzt sie die emotionalen Zustände beständig motorisch um. Selbst wenn sie szenisch gerade nur Zuschauerin ist, knetet sie ihre Hände, beißt sich auf die Lippen, schiebt den Unterkiefer hin und her.

Frank Castorfs wüstem Assoziationsverfahren kann sie wenig abgewinnen. „Er ist so drastisch in seinen Mitteln, daß man schon nach einer Viertelstunde abstumpft und auch kühl bleiben würde, wenn die sich da oben tatsächlich erschießen. Es muß doch so sein, daß einem die Tränen runterlaufen, wenn nach zwei Stunden jemand ein Blatt Papier zerknüllt.“

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