■ Leichtathletik: Geschichtsträchtig
„Ich wußte, daß der Weltrekord möglich ist, weil ich meine Hausaufgaben gemacht hatte!“ Als Fleißarbeit präsentiert Yobes Ondieki, was fürderhin als „historisches“ Ereignis in die Annalen der Leichtathletik eingehen wird. Ausnahmsweise sei's gestattet, die Geschichte zu bemühen. Denn dem Kenianer gelang, was noch keiner vor ihm geschafft hatte. Der 32jährige unterbot beim Grand-Prix- Sportfest in Oslo als Erster die 27er-Marke über 10.000 Meter – 26:58,38 Minuten. Damit war der 55-Kilo-Floh 9,53 Sekunden schneller als sein Landsmann Richard Chelimo eine Woche zuvor.
Ondieki, dem bei seinem Fabellauf selbst die beiden Hasen zu langsam waren und der einsam 8.000 Meter des Rennens von der Spitze aus bestritt, trägt sich damit in die ewige Bestenliste ein – hinter Emil Zatopek, die „Lokomotive aus Prag“, der 1954 erstmals eine 28 vor den Doppelpunkt setzte, und hinter dem Australier Ronald Clarke, der wiederum als erster diese Schallmauer brach. Vor 18 Jahren. Seither gab es zwar einen von Blutdoping-Gerüchten umwebten Lasse Viren, den Doppel-Olympiasieger über 5.000 und 10.000 Meter 1972 und 1976, aber keinen, der unter 27 lief. Um so erstaunlicher ist Ondiekis Zeit, als die lange Distanz gar nicht die Hausstrecke des 1,70 Meter kleinen Mannes ist.
1989, in seinem bis dato besten Jahr, hatte er ebenfalls die Geschichtsschreiber in Verzückung gebracht. Damals schlug er als erster den vermeintlich unbesiegbaren Said Aouita. Über 5.000 Meter wohlgemerkt. In Barcelona holte allerdings Dieter Baumann das olympische Gold, der Weltmeister, inzwischen mit der australischen Marathonläuferin Lisa Martin verehelicht, landete nur auf Platz fünf. Ein Jahr nach Olympia scheint Ondieki viele Hausaufgaben gemacht zu haben.
Von Heike Drechsler ist man nichts anderes gewöhnt. Seit sie 1983 mit 18 Lenzen als jüngste Frau – schon wieder ein Superlativ – die Weltmeisterschaften gewann, dominiert die nunmehr 29jährige den Weitsprung. Verwirrung außerhalb der Sandgrube hatte die Jenaerin indes bei den Funktionären des Deutschen Leichtathletik- Verbandes (DLV) gestiftet. Die Olympiasiegerin entschied sich gegen einen Start bei den Deutschen Meisterschaften in Duisburg und für das finanziell einträglichere Oslo. Der DLV hatte eine Vorverlegung des Weitsprungs nach einem Protest des Berliner Landesverbandes, dessen Aushängeschild Susen Tiedtke auch prompt erstmals in Abwesenheit der Titelabonnentin den Meistertitel eroberte, abgelehnt. Sollte Heike Drechsler bei den „Golden Four“, den Sportfesten in Oslo, Zürich, Berlin, Brüssel, gewinnen, wird ihr dieser Grand-Slam mit rund einer Viertelmillion Dollar versüßt. Angesichts einer solchen Zwickmühle befand DLV-Präsident Helmut Digel verständnisvoll: „Die Sportler sind Gefangene eines Systems horrender Preisgelder.“ Sie seien in einer schwierigen Lage, wenn Mammon über Solidarität siege. Im Falle Drechsler fiel die Entscheidung leicht. Sie hatte sich bereits vor Duisburg für die WM qualifiziert.
Die zweite güldene Heike ist derweil bei 18 Meistertiteln angelangt. Die 29jährige Heike Henkel überquerte mal wieder die Latte bei zwei Metern und freute sich: „Ich habe wieder ein gutes Gefühl.“ Beim Hürdensprinter Florian Schwarthoff war das Gegenteil der Fall. Er stürzte und verletzte sich leicht. Seine WM-Teilnahme in Stuttgart ist jedoch nicht gefährdet.coh
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