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Währung der Ukraine verfällt rasant

■ Sparguthaben kaum noch etwas wert / Privatisierungsprogramm in Gefahr

L'viv (taz) – „Das ist das Ende“, titelte die Lemberger Wochenzeitung nach Abflauen der ostukrainischen Streikwelle. Der Rat, das Parlament der Ukraine, hatte auf die Streikforderungen der Kumpel aus dem Donbas mit einem nur allzu gewohnten Reflex geantwortet – er hatte die Neuverschuldung bei der Nationalbank gegen deren Protest um 1,3 auf 5,33 Milliarden Karbowanjez erhöht.

Alla Kovtun, Kiewer Korrespondent des russischen Kommersant, berichtete später, die Kumpel hätten sich ihm gegenüber erstaunt geäußert: Die Streikunterhändler hätten größere Lohnerhöhungen angeboten, als die Kumpel verlangt hätten. Alle 39 Forderungen wurden dennoch nicht erfüllt – nach offiziellen Angaben hätte das das Haushaltsdefizit in die astronomische Höhe von 7,5 Trillionen Karbowanjez getrieben.

Viktor Juschtschenko, Chef der ukrainischen Nationalbank, hatte die Abgeordneten gemahnt, „daß Geldemission nur dazu führen wird, daß der Karbowanjez in Kürze auf 9.000 bis 10.000 Karbowanjez pro Dollar fällt“. Als er vor dem Parlament auftrat, lag der offizielle Dollarkurs der ukrainischen Währung gerade bei knapp 4.000 Karbowanjez pro Dollar, das ist viermal soviel wie Ende 1992. Da wundert's nicht, daß das staatliche Defizit mit 11 Trillionen Karbowanjez im Juni elfmal so hoch war wie noch im Januar geplant. Der Internationale Währungsfonds (IWF) legt als Meßlatte für internationale Kreditwürdigkeit meist fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts fest; doch das Haushaltsdefizit der Ukraine beträgt zur Zeit etwa 20 Prozent.

Mehr Bedeutung als der Dollarkurs haben für die nach Osten orientierten ukrainischen Unternehmen allerdings die Kurse der GUS- Währungen. Bei Einführung der Kupon-Währung im Dezember 1992 hatte die ukrainische Währung zum Rubel noch ein Verhältnis von 1:1,4. Heute liegt es bei 1:4. Nur die Währungen der von Kriegen erschütterten Länder Aserbaidschan und Georgien leiden an noch stärkerem Kursverfall.

Trotz der ohnehin schon prekären finanzpolitischen Lage gibt es immer noch genügend Abgeordnete, die gerne draufsatteln würden. Zinslose Kredite für die Produktion, lautet eine ihrer Forderungen – denn die hohe Inflation, die kommerzielle Banken für gewaltige Spekulationsgeschäfte nutzen, hat zu einem Absatzeinbruch und Massenentlassungen geführt.

Der Forderung nach Wiedereinführung des alten „Einbankensystems“ kam der Oberste Rat zwar nicht nach, dafür stellte er den Privatbanken aber völlig unrealistische Bedingungen: 7 Tage innerhalb der Ukraine und 3 Tage innerhalb eines Regierungsbezirks dürfen die Interbankverrechnungen nur noch maximal dauern, sonst setzt es drastische Strafen. In zwei Monaten soll die Nationalbank ihr Clearing computerisiert haben – Kostenpunkt etwa eine halbe Milliarde Dollar. Das Vorhaben ist nicht nur unfinanzierbar, sondern auch zeitlich nicht schaffbar.

Viele fürchten indessen, daß das Ingangsetzen der Notenpressen zum Zusammenbruch des Privatisierungsprogramms führen könnte. Wladimir Pylyptschuk, Vorsitzender des zuständigen Parlamentsausschusses, rechnete vor: „Die Summe aller ukrainischen Sparguthaben beträgt 340 bis 400 Milliarden, das Betriebsvermögen aller Betriebe, deren Privatisierung vorgesehen ist, beläuft sich dagegen inzwischen auf etwa 22 Trillionen Karbowanjez. Geht man davon aus, daß nur etwa die Hälfte der Sparguthaben für Kapitalanlagen verwendet wird, so können die Ukrainer selbst allenfalls ein Prozent der Staatsbetriebe erwerben. Den Rest muß man irgendwie umsonst verteilen.“ Hinzu kommt, daß die Inflation die Sparguthaben der Bevölkerung langsam vernichtet. Am Ende ließen sich die Aktien der zu privatisierenden Betriebe nur noch verschenken – Kapitalspritzen blieben dann völlig aus. Der Kapitalmarkt der Ukraine wäre am Ende, bevor er eine Chance hatte. Alla Kovtun rät daher, Immobilien und Betriebe so schnell wie möglich unters Volk zu bringen, um Geldmenge und Warenangebot einigermaßen in Balance zu bringen. „Sonst droht uns in diesem Jahr eine Inflation von bis zu 10.000 Prozent.“ Klaus Bachmann

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