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"Die Frauen sind hochmotiviert"

■ Die zweite und dritte Generation der Immigrantinnen nutzt Fortbildungsangebote /Qualifizierte Arbeitsplätze finden sie selten / Der einzigen Berufsberatung droht der ABM-Tod

Mit 52 Jahren wollte Görzev* noch etwas anderes im Leben machen als immer nur Putzen. Als sie vor 40 Jahren aus der Türkei nach Berlin kam, hatte sie gerade fünf Jahre Schule hinter sich. Mit viel Mühe holte sie den Hauptschulabschluß im Qualifizierungsprojekt des Treff- und Informationsortes für Türkische Frauen (TIO) nach und will jetzt „etwas Pädagogisches“ lernen. Sie habe bei ihren Kindern so viel falsch gemacht, begründet sie ihre Wahl. Sie wird eine Stelle in einem Frauenhaus antreten, die aus einem Programm für Langzeitarbeitslose finanziert wird.

Der Argenitinierin Clara* wurde ihr Ingenieurstudium nicht anerkannt, als sie vor drei Jahren mit ihrem deutschen Mann nach Berlin kam. Erst versuchte sie sich als Sekretärin in einem Frauenprojekt, das jedoch dichtmachte. Jetzt nimmt sie an einer Fortbildungsmaßnahme in Ostberlin teil, die Dozentinnen und Multiplikatorinnen für die Bereiche Umweltbildung und Ökologie ausbildet.

Die beiden sind damit unter den wenigen ausländischen Frauen, die nicht als un- oder angelernte Arbeiterinnen im verarbeitenden Gewerbe oder im Dienstleistungsgewerbe, das heißt als Reinigungskräfte oder in der Gastronomie beschäftigt sind. „Ausländerinnen werden seltener eingestellt, verdienen am wenigsten und verlieren als erste ihren Arbeitsplatz“, faßt eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Frauen und Arbeit zusammen. Die Gründe sind vielfältig: Über 80 Prozent haben keinen Schulabschluß oder keine abgeschlossene Ausbildung, anderen werden die im Ausland erreichten Abschlüsse nicht anerkannt. Lange Erziehungszeiten und sprachliche Barrieren sind weitere Hürden, die den Zugang zu qualifizierteren Tätigkeiten versperren.

„Die Ausländerinnen der ersten Gastarbeitergeneration haben meist keine Ausbildung, es wurden ja bewußt ungelernte ins Land geholt“, sagt die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). Sie nähmen auch selten an Fortbildungsangeboten teil. „Da fehlt es vor allem am Selbstbewußtsein“, so John. Die zweite und dritte Generation habe bessere Chancen, wenn auch die Zahl der Schulabschlüsse und der Ausbildungen bei ausländischen Mädchen noch geringer ist als bei Jungen. Bei der Lehrstellensuche konzentrieren sie sich vor allem auf Stellen als Arzthelferin oder Friseuse.

Eines der wenigen Projekte, die speziell auf die Bedürfnisse ausländischer Frauen zugeschnitten sind, ist TIO, Treff und Informationsort für türkische Frauen. Seit 15 Jahren gibt es den Kontakt- und Beratungsladen in der Manteuffelstraße. Vor zwei Jahren gründete TIO ein Qualifizierungsprojekt für Immigrantinnen. Halbjährlich werden Kurse angeboten, in denen Frauen in einem Jahr den Hauptschulabschluß nachholen oder eine berufsvorbereitende Ausbildung machen. Jedes Jahr nehmen 30 Frauen teil, keine hat bislang abgebrochen – und keine ist seitdem arbeitslos. „Die Motivation und Belastbarkeit dieser Frauen ist enorm“, sagt Projektleiterin Karin Heinrich.

Auf den Wartelisten für das Qualifizierungsprojekt stehen regelmäßig über 100 Frauen. „Es bewarben sich auch immer Architektinnen, Archäologinnen oder Kunsthistorikerinnen, die auf einmal zu Erzieherinnen umschulen wollten, weil sie keine andere Möglichkeit sahen“, sagt Heinrich. Um diesen Frauen auch andere Wege zu eröffnen, richtete TIO im Juni letzten Jahres die einzige berufsorientierte Beratungsstelle für Immigrantinnen ein.

180 Frauen haben sich im ersten Halbjahr in Fragen der beruflichen Bildung und Orientierung beraten lassen können. Beraterin Monika Geist hilft bei Bewerbungen und kümmert sich um Finanzierungsmöglichkeiten. Immer wieder gelang es ihr auch, Frauen direkt in Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.

Dazu wird es vermutlich nicht kommen. Seit Juni berät Monika Geist ehrenamtlich. Ihre ABM- Stelle wurde nicht verlängert. „Ich kann die Frauen, die vorher hier waren, ja nicht einfach fallen lassen“, sagt sie. Wenn auf Dauer aber keine andere Finanzierung möglich wird, muß die Beratung zumachen. Die Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen habe jedenfalls einen Unterstützungsbrief an das zuständige Arbeitsamt IV geschrieben, um doch noch eine Fortführung der ABM zu erwirken, sagte Sprecherin Bettina Martin. „Wenn das abgelehnt wird, werden wir hier im Haus Finanzierungsmöglichkeiten prüfen.“ Corinna Raupach

TIO, Manteuffelstraße 19, 10997 Berlin, Tel. 6122050

*Namen von der Red. geändert.

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