: Teurer Stillstand in Gorleben
Eine fast vergessene Demonstration hat Folgen: Klaus Töpfers Ministerium fordert Schadensersatz für das Besteigen von Fördertürmen ■ Von Niklaus Hablützel
Berlin (taz) – Was ein deutsches Ministerium ist, rechnet exakt: Genau 129.941 Mark und 10 Pfennige kostet eine Demonstration, an die sich eigentlich niemand mehr so genau erinnert, gäbe es da nicht ein paar Beamte mit langem Gedächtnis. Sie rechneten penibel einen Schaden aus, den die Bundesrepublik Deutschland am 21. und 22. Juni in Gorleben erlitt, als etliche Mitglieder der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zwei Fördertürme des sogenannten „Erkundungsbergwerks“ von Gorleben bestiegen: ein Protest gegen das Endlager für Atommüll also.
Das Amtsgericht von Salzgitter, Sitz des Bundesamtes für Strahlenschutz, schickte den nötigen Mahnbescheid am 16. Juni 1993 an die ihm namentlich bekannten Beklagten – fristgerecht: Wenige Tage später wären die Straftaten verjährt gewesen, die den Schaden verursacht haben sollen. Und fast hätten auch die Turmbesteiger die Sache vergessen. Das Amtsgericht Dannenberg hatte die Strafverfahren eingestellt und lediglich Bußgelder von wenigen hundert Mark verhängt: Alltag im atomgestreßten Landkreis.
Nicht aber für die Gerichtsbeamten in Salzgitter. Sie vergaßen schon gar nicht, die zusätzlichen Kosten ihres neuerlichen Strebens nach Gerechtigkeit in das Formular des Mahnbescheids einzutragen: Die Gebühr beträgt „675.- DM“ und „ist in der gleichen Frist zum obigen Aktenzeichen bei der Regierungsbezirkssparkasse Braunschweig einzuzahlen“.
Die Überweisung ist dort allerdings nicht angekommen. Der Regierungsbezirk muß auf die Sondereinnahme wohl verzichten. Die Bürgerinitiative hat fristgerecht Widerspruch eingelegt, und ihr Anwalt ist ziemlich sicher, daß auch die im Bescheid genannte „Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit“ leer ausgehen wird.
Denn selbst wenn die Initiative das Geld hätte – bezahlen würde sie es nicht. „Das ist eine Provokation von Töpfer“, hat die Initiativen-Sprecherin unschwer erkannt, und seit Eingang des Schreibens ist in Gorleben eine neue Anti-Atom- Kampagne in Planung, die jene halbvergessene Demonstration auf den Fördertürmen womöglich zum politischen Spätzünder werden läßt. Beamte rechnen genau, aber manchmal doch ein wenig kurzsichtig: Schon jetzt haben Parteien, Initiativen und Einzelpersonen ihre Solidaritätserklärungen für die Bürgerinitiative abgegeben. Der „Mahnbescheid wird ein Schwerpunkt unserer Arbeit werden“, verspricht die Sprecherin. Geldspenden in dieser Sache sind willkommen. Sie sollen nur dafür genutzt werden, die Gerichtskosten zu bestreiten.
Aber auch die Gegenseite, diesmal vertreten durch das Bundesamt für Strahlenschutz, hat sich gewappnet. Wer wissen möchte, was denn nun genau jene 126.941,10 Mark gekostet haben könnte, wird an das Atom-Informationszentrum Gartow verwiesen. Dort liegen die Unterlagen. „Herr Schmidt, der heute auf Reisen ist, hat sie mitgenommen“, heißt es in der Braunschweiger Zentrale.
Selbst der Hamburger Anwalt der Gorlebener Initiative kann bisher nur spekulieren, was sie enthalten. Er wartet vergeblich auf Auskunft aus Bonn oder Salzgitter und weiß auch nicht, warum eigentlich nicht die unmittelbare Betreiberin des Atommüllagers, die Deutsche Brennelemente Gesellschaft (DBE), Schadensersatz beantragt hat. Die Weisung dazu war offenbar höheren Orts erteilt worden. Kaum ein Sachverständiger glaubt heute noch, Salzstöcke seien besonders geeignet, Strahlenmüll für die nächsten paar tausend Jahre sicher zu lagern.
Das Erkundungsbergwerk von Gorleben wird daran nichts ändern, sein Weiterbetrieb ist ideologischer Natur. Um so mehr mußte Klaus Töpfers Ministerium das Urteil des Amtsgesrichts von Dannenberg mißfallen: Es konnte nicht recht erkennen, worin die nunmehr geltend gemachten „Stillstandskosten“ bestehen könnten. Es hatte nur einen Sachschaden von etwa 4.000 Mark anerkannt, verursacht durch die Turmbesteiger, die einen Zaun zerschnitten hatten.
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