: Der Duft der Männer nebenan Von Michaela Schießl
Endlich, endlich wird ein unsägliches Überbleibsel der 68er Offene-Türen-Revoluzzer angeprangert und in seinen furchtbaren psychischen Wirkungen bloßgestellt: die gemischte Gemeinschaftstoilette. WCs, die nur durch dünne Kabinenwände getrennt von Männern und Frauen benutzt werden, Klos, auf denen die Geschlechtertrennung aufgehoben ist. Moderne Gruselkabinette also, anarchistische Aborte, Kabuffs, wo der Respekt stirbt. Barbara B., Angestellte eines Alternativbetriebs, brach das Schweigen: „Ich kann nicht mehr. Morgens lausche ich den brillanten Ausführungen des Kommentators, und fünf Minuten später muß ich mir ganz andere Töne anhören. Ich will einen verdienstvollen Studentenführer, eine Ikone der Studentenrevolte nicht furzen hören! Darunter leidet die Bewunderung.“ Mitarbeiterin B. kämpft um ihre Helden. Nun treibt sie sich wie zufällig in der Nähe von Klos herum. Nach fünfminütiger Observation weiß sie, ob die Luft rein ist. Blitzschnell schlüpft sie in die linke Kabine. (Niemals Mitte, Gefahr des Doppelangriffs!). Was aber, wenn sich trotz aller Vorsicht ein Nachbar dazugesellt? „Dann wird ausgeharrt“, sagt Barbara B. Erst, wenn der Nachbar inkognito entschwindet, verläßt sie ihr Abteil. Doch die Variante hat sich rumgesprochen. Seit geraumer Zeit verschwinden Mitarbeiter stundenlang. Die Probleme der Kollektiventleerung werden ausgesessen. „Kein Wunder, daß der Betrieb nicht in die Gänge kommt“, schimpft Barbara B. und rechnet vor: „Pro Woche verschwende ich mindestens zwei Arbeitsstunden mit der Klotaktiererei.“ Hochgerechnet auf alle Mitarbeiter bedeutet dies einen wöchentlichen Verlust von ca. 160 Arbeitsstunden! Mehr als vier ganze Stellen gehen das Rohr hinunter! Ein Unding, findet Barbara B, sucht und findet eine Alternative: Das Klo im ersten Stock, daß einzige Einzelmodell im Haus. Doch der Geheimtip hielt nur kurz. Seit kurzem beschweren sich die Angestellten der benachbarten Räume über den zunehmenden Toilettentourismus und drohen: „Das stinkt uns!“ Tatsächlich sind auch Männer Opfer der Gemeinschaftstoilettenwirkung. Nichts, so glaubt der Uneingeweihte, verbindet Männer mehr als sprudelnde Gespräche von Latrine zu Latrine, nichts verbrüdert ähnlich wie synchrones Abtröpfeln. In Wahrheit jedoch sind die Pinkelreihen Tatort für beinharte Untergürtel-Recherchen. Severin W. berichtet: „Beim Pinkeln geht es darum, einen Blick auf das Teil des Nebenmanns zu werfen, ohne daß er es merkt, und ohne daß er seinerseits einen Blick von Nachbars Kleinod erhaschen kann.“ Pinkeln ist ein nervenaufreibender Genitalvergleich, wahre Entspannung bietet nur die verschlossene Tür.
Dort wird hemmungslos genossen: Stundenlange Zeitungslektüre ohne runterzuziehen. Erst wenn alle Kleidungsstücke samt Haaren den typischen Geruch angenommen haben, verläßt Mann das Revier, und entläßt die verzweifelten Nutzer der Nachbarkabinen in die Freiheit. Klokippnapping sei das, findet Frau B., und droht, ihre resolute Mutter einzuschalten. Die nämlich habe ihr eines ans Herz gelegt: „Eine Frau muß duften wie eine Rose.“
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