: Die Kali-Kumpel wollen weiterhungern
■ Gewerkschaft warnt vor „Gefährdung des erreichten Erfolges“ / Treuhand-Präsidentin hofft auf Ende des Hungerstreiks
Bonn/Bischofferode (AFP/taz) – Die Kali-Kumpel von Bischofferode sind, am 14. Tag ihres Hungerstreiks, nicht bereit, auf das magere Ad-hoc-Angebot der Bundesregierung, Ersatzarbeitsplätze für zwei Jahre zu finanzieren, einzugehen. Sie setzen deshalb ihren Hungerstreik fort. Und die Zahl der Teilnehmer wird sich sogar verdoppeln. Durch ihr Festhalten an der Schließung der Grube habe die Bundesregierung den Kumpeln eine klare „Abfuhr“ erteilt, sagte gestern der Betriebsratsvorsitzende Heiner Brodhun. Er äußerte sich skeptisch über die angebotenen Ersatzarbeitsplätze: „Da stehen dann 99 an der Pforte und einer schaufelt.“ Sein Resümee: „Wir geben nicht auf. Jetzt geht der Kampf erst recht weiter.“
Die Thüringer Landesregierung begrüßte hingegen das Angebot des Kanzleramtes, alle 700 Beschäftigten nach der Schließung der Grube bis Ende 1995 in die treuhandeigene Gesellschaft zur Verwaltung und Verwertung von Bergwerkseigentum (GVV) zu übernehmen, als „riesige Hilfe“. Die Präsidentin der für die Arbeitsplatzvernichtung verantwortlichen Treuhand, Birgit Breuel, appellierte auf einer Pressekonferenz in Berlin an die Bergarbeiter, den Hungerstreik zu beenden. Mit dem Bonner Versprechen hätten die Bergleute einen Erfolg erzielt. Bisher gäbe es in der GVV Arbeitsplätze für 300 Bergleute, für weitere sei die Landesregierung verantwortlich. Im übrigen verwahrte sich Frau Breuel gegen den Vorwurf, die Treuhand saniere die westdeutsche Kali-Industrie.
Über einen möglichen Abbruch des seit 15 Tagen laufenden Hungerstreiks wird heute die Belegschaft der Kali-Grube „Thomas Müntzer“ in Bischofferode abstimmen. Nach Aussagen des Betriebsratsvorsitzenden Brodhun sind die 42 hungerstreikenden Kumpel aber entschlossen, ihren Kampf fortzusetzen. Die Frauen, die tagsüber den Schacht besetzt halten, konnten erst nach mehrstündigen Diskussionen vorläufig davon abgebracht werden, sich dem Hungerstreik ihrer Männer anzuschließen. Unterdessen wurde gestern bereits der vierte hungerstreikende Bergmann ins Krankenhaus eingeliefert.
Nach Gesprächen mit einer Bürgermeister-Delegation aus dem Eichsfeld hatte das Kanzleramt am Mittwoch abend zugesagt, die Arbeitsplätze in Bischofferode zumindest bis Ende 1995 zu sichern. Die Beschäftigten sollten in der GVV für Stillegungs-, Demontage- und Sanierungsarbeiten eingesetzt werden. Nach Angaben von Breuel kann die GVV jedoch nur 300 Mitarbeiter aufnehmen. Für weitere Arbeitsplätze müsse die Landesregierung sorgen. Der Minister in der Erfurter Staatskanzlei, Andreas Trautvetter (CDU), sagte, da müsse „noch was auf die Beine gestellt“ werden.
Trautvetter gab sich überzeugt, daß für die Beschäftigten in Bischofferode auch über die zwei Jahre hinaus eine „echte Perspektive“ geschaffen werden könne. Regierungssprecher Dieter Vogel hatte erklärt, möglichst viele Arbeitnehmer sollten möglichst bald in Dauerarbeitsverhältnisse übergehen. Dazu gehöre auch die bevorzugte Anstellung in freiwerdenden Stellen des fusionierten Kali-Unternehmens. Für den Herbst kündigte Vogel eine Regionalkonferenz von Bund und Land zur Ansiedlung von Industriearbeitsplätzen im Landkreis Worbis an.
Die Zusicherung der Bundesregierung gehe über alle bisherigen Angebote hinaus und sei ein „Erfolg der Bergleute“, sagte Breuel. Gleichzeitig bekräftigte sie den Beschluß der Treuhand zur Schließung der Grube im Rahmen der Kali-Fusion. Sie räumte allerdings ein, daß „von vielen Seiten Fehler gemacht“ worden seien. Der Treuhand-Vorstand Klaus Schucht betonte, es habe „keinen Sinn“, sich an einer alten Industrie ohne Zukunft „festzuklammern“. Der „unvermeidliche Prozeß“ der Grubenstillegung sei in Bischofferode „außer Kontrolle“ geraten, weil bei den Bergleuten „falsche Hoffnungen“ geweckt worden seien.
Hans Berger, der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, IGBE, welche die Bischofferoder bislang in keiner Weise unterstützte, forderte sie jetzt auf, das Angebot der Bundesregierung anzunehmen. „Eine Zurückweisung gefährdet diesen durch den Einsatz der Bischofferoder erreichten Erfolg.“ Eine bessere Offerte habe es bei Stillegungen in Ostdeutschland bisher nie gegeben, sagte Berger. „Dieser Erfolg darf jetzt nicht durch Uneinsichtigkeit gefährdet werden. Jetzt gilt es, alle Kräfte auf erreichbare Ziele zu konzentrieren.“
Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10
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