: Gegen Nazis und Fleischesser
■ Überschall-"Alternativ"-Festival im Aladin: Viel Hochwertig-Unverdauliches a la Caspar Brötzmann / Consolidated: Polit-Rap tanzbar
„Wann spielen denn Massaker? Vor oder nach Bratzmann?“ tönte es aus der Schlange an der Kasse. Ein Indiz dafür, daß nicht nur Insider am Donnerstag abend den Weg nach Hemelingen ins Aladin gefunden hatten: Selten sah das Überschall-Festival, Bremens Alternativ-Rock-Ereignis Nummer Eins, ein so buntes Publikum. Nirvana-Lookalikes, Nietenpunks, Stinos* in Jeansjacken und überzeugte Veganer** tummelten sich im nicht ganz ausverkauften Aladin.
Trotz frühen Beginns stießen die Lokalmatadoren Tuned Dum Dum auf einiges Publikums-Interesse; bei der hohen Quote an persönlichen Bekannten kein Wunder. Ihr beherzter, aber unspektakulärer Rock schaffte es nicht, zu beeindrucken.
Halb zehn war es bereits, da betrat Gitarrist Caspar Brötzmann, mit Bass und Schlagwerk zur Band Massaker aufgestockt, die Bühne. Nach harmlosem Beginn mit zarten Passagen und Geflüster trat der schlacksige Berliner auf das Effekt-Board, daß dem Publikum Hören und Sehen verging.
Überreichliche Lautstärke machte die Phon-Orgien des Massakers zu einem fragwürdigen Genuß, der nur Hartgesottenen Freude machte. Der Rest verzog sich ins Cafe oder vor die Tür. Zu schwer verdaulich war der Feedback-Cocktail des Trios, es fehlte die Chance, den Phon-Wüterich bei Bedarf vom Plattenteller zu nehmen. Eine dermaßen unbequeme, aber musikalisch hochwertige Band in diesem Rahmen spielen zu lassen, spricht allerdings für das Konzept der Initiatoren, nicht bloß große Kommerzveranstaltungen zu imitieren.
Als Consolidated begannen, waren die Vertriebenen ganz schnell wieder im Saal. Wie erwartet wurde der Auftritt der drei weißen Polit-Rapper zur kollektiven Tanzparty, Hip Hop kann live funktionieren, wenn Computer durch Musiker ersetzt werden. Der Band selber fehlte wohl das Vertrauen in die eigenen Attraktivität: es gab mehr flackernde Video-Schirme als Bandmitglieder auf der Bühne.
Die visuelle Krücke half aber, die Inhalte der Band für ein Publikum, das von dem Gerappe nur einen Bruchteil mitbekam, optisch transparent zu machen: gegen Nazis, Sexismus und (zur Freude der Veganer) gegen Aasfraß sein. Dabei ging die Band auch auf den Widerspruch ein, im Konzertsaal politisch korrekt Party zu machen, während sich draußen nichts verändert. Auch das ist nicht Konzertalltag.
Weit nach Mitternacht bequemten sich Helmet auf die Bühne, und obwohl sich die Reihen schon merklich gelichtet hatten, schaffte die Band es, noch einen draufzusetzen: Endlich stimmte der Sound, satte Gitarrenriffs und ein Gefühl für krumme Off-Rythmen ließen vergessen, daß für das Quartett das Griffbrett schon beim Gis endet. Musik, zu sich der sich trefflich das Haupthaar schütteln läßt. L.R.
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