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Vorschlag

■ „Homme fatal“ vom Tanztheater Skoronel im Tacheles

Hans heißt der Mann in „Homme fatal“. Hans wie Hans Bellmer, der Bildhauer und Maler, dessen exzessiv erotischen, fetischartigen Puppenplastiken dem Tanztheater Skoronel für ihre neue Produktion, die jetzt im Tacheles Premiere hatte, über weite Teile als Inspiration dienten. In einer Montage aus Anagrammen Unica Zürns (der Lebensgefährtin Hans Bellmers), Ausschnitten aus der Bild-Zeitung und Texten von Judith Kuckart wird den sexuellen Obsessionen und kleinbürgerlichen Gewaltphantasien, dem Wunsch, durch den anderen dem eignen Körper habhaft zu werden, nachgespürt.

Im blaßgrünen Kleid sitzt das Mädchen Levinia in einem trautigen Küchenensemble, bestehend aus Küchenbank, wackligem Tisch mit Wellensittich und zwei leeren Bierflaschen, im Hintergrund auf der Bühne. Von hier verliest sie die Skandale und Skandälchen, die Lust- und Verzweiflungsmorde aus Bild, und verfolgt die Tänze des Mannes Hans – der manchmal ihr Hans ist und wie tot neben ihr auf der Küchenbank sitzt. Vorne tanzt er mit drei Frauen, die wie Barbiepuppen wirken mit ihren langen Beinen und dem blonden Haar, mit den gleichen schwarzen Glockenröcken und weißen Blusen. Eine Mischung aus Cheerleaderin und Vamp, sind die drei der zerstückelten Puppe nicht unähnlich, die Hans um einen Garderobenständer herummontiert hat und später mit Wein/Blut übergießt und anzündet. „Püppchen, du bist mein Augenstern“, singt Aniko Nagy, und zu Boden geworfen wiederholt sie wie eine Platte mit Sprung „Püpp-püpp- püpp“ und vollzieht dabei immer gleiche, mechanische Bewegungen. Hans (Frank Herfeld) ist kein Mann mit Traumkörper, sondern präsentiert mit in sich verzogenen Bewegungen und schlackernden Handgelenken eher die weniger schöne Seite der Begierde. Wie ein Leichenteil schleppt Lavinia (Kirsten Hartung) einen um das Fußgelenk gebundenen, rosafarbenen Ballettschuh mit sich herum und erinnert sich an ihre Mädchenträume: eine Karriere beim Bolschoi. Aus dem Bauch des im Rollstuhl sitzenden Hans quillt ein Mädchenleib hervor: Metamorphosen des Männlichen ins Weibliche. „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“, singt eine Puppe, derweil Hans mit einer anderen im Rollstuhl die verschiedensten Versionen der Kopulation durchspielt. Am Ende werden sich Hans und eine Frau, mit dem Rücken zum Publikum, langsam entkleiden, und Hans wird die schwarzen Netzstrümpfe der Frau, ihren BH und ihr enganliegendes Kleid anziehen – und die hochhackigen Schuhe sind zu klein. „Schuh zu klein. Ein Toter liegt daheim“, liest Lavinia in der Zeitung. „Der Tote trug Frauenkleider. Der unauffällige, höflich stille Bildhauer lebte mit wechselnden Bekanntschaften und einem Wellensittich. ... Neben der Leiche stellte die Polizei ein Paar Frauenschuhe Größe 37 sicher.“ Das gierig aus der Zeitung geliehene Grauen ist zum eigenen geworden.

„Homme fatal“ (Regie: Judith Kuckart und Jörg Aufenanger) ist nicht nur die inzwischen elfte Produktion des Tanztheaters Skoronel, es ist auch die beste seit langer Zeit. Der Tanz ist hier wieder mehr in den Vordergrund getreten, und es gelingen atemberaubende Bilder, die durch ihre humorvollen Brechungen nie kitschig oder pathetisch werden. Allerdings wäre eine halbe Stunde weniger mehr gewesen. Michaela Schlagenwerth

„Homme fatal“, heute und morgen abend, vom 20.-25. Juli im Tacheles, Oranienburger Straße 54-56 in Mitte.

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