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Etwas, das von ihnen zurückbleibt

■ Gespräch mit James E. Young, Judaistik-Professor und Museumskritiker

taz: Raul Hilberg glaubt, daß der „Holocaust“ für die Vietnam- Generation so eine Art „guter Krieg“ war, und daß nach der TV- Serie „Holocaust“, und nachdem einige Täter auf amerikanischem Boden verfolgt worden waren, langsam aber sicher die Vergangenheit der jüdischen Minderheit zu einer amerikanischen Vergangenheit wird. Teilen Sie diese Einschätzung?

Young: Man muß, glaube ich, zurückgehen zu der Zeit vor dem Vietnamkrieg, als alle möglichen ethnischen Minderheiten plötzlich an die Öffentlichkeit traten. Damals gab es eine Identifikation der jüdischen Minderheit mit der Sache der Schwarzen; je mehr es akzeptabel war, schwarz und stolz darauf zu sein, oder Chicano und stolz, desto mehr galt das auch für die Juden. Unglücklicherweise ist einer der Kernpunkte ethnischer Identität die Erinnerung an Verfolgung und Unterdrückung. Für Afroamerikaner war das die Erinnerung an die Versklavung in Amerika; und obwohl die Erfahrungen einzelner Individuen, je nachdem ob sie in Städten oder auf dem Land, im Süden oder im Norden lebten, unterschiedlich waren, ist diese vermittelte „Erinnerung“ ihnen gemeinsam. Etwas Ähnliches gilt für die amerikanischen Ureinwohner, die Asiaten und andere. Diese Art von Vergangenheitsbezug war natürlich nichts Neues für jüdische Amerikaner, deren ureigenste Tradition in ritualisierter Erinnerung besteht, inbesondere der Erinnerung an vergangenes Leid. Bis heute rechnen zum Beispiel orthodoxe Juden die Kalendertage nach der Zerstörung des Ersten Tempels. Also die Juden merkten damals in den sechziger Jahren, daß alle ethnischen Gruppen sich neu formierten, und daß der Mythos vom melting pot eben ein Mythos war.

So identifizierten sich jüngere Juden mit der vorherigen Generation von Opfern und Überlebenden, auch um auf diese Weise von der Schuld am Vietnamkrieg ein bißchen entlastet zu werden. Ende der siebziger Jahre passierten dann einige Dinge gleichzeitig, die zur Einrichtung der Kommissionen führten, die das Washingtoner Museum gestalteten. Die Holocaust- TV-Serie wurde dann schnell das jüdische „Roots“ genannt, in Analogie zum schwarzen Ursprungsmythos. Von da an war es nicht nur leicht, sondern sogar irgendwie erhebend, sich als Opfer zu identifizieren. Dreitausend Jahre jüdischer Geschichte schnurrten nun zu zwölf Jahren Terror zusammen.

Hätte es denn Alternativen gegeben, irgend etwas, das amerikanische Juden vereint hätte und das nichts mit dem Holocaust zu tun hatte?

Ab 1967 wurde Israel ein Teil des amerikanischen Bewußtseins, wo vorher so gut wie keine Kenntnisse über das Land waren. Die meisten amerikanischen Juden gehören der Reformbewegung an und die war immer betont amerikanisch gewesen. Erst die Angst vor einem neuen Holocaust, nicht der Unabhängigkeitskrieg 1948, bewirkten diese Solidarität, Massenimmigration liberaler Juden, die hofften, dort sozialistische Ideen zu verwirklichen. Mit dem Libanon-Krieg sank diese Sympathie wieder, und die Identifikation mit Israel machte einer größeren Bezugnahme auf den Holocaust Platz.

Amerika gibt den Menschen wenig gemeinsame Bezugspunkte als Kultur; komischerweise war es gerade die Rückbesinnung auf ethnische Herkunft, die zeigte, daß Amerika eben keine nationale Identität hat, wie man den Immigranten immer hatte weismachen wollen. Da mußte man sich eben über eine Gemeinde, eine Stadt, eine Region oder als New Yorker identifizieren.

Wenn also ein Gemeindezentrum Geld brauchte, und es war ihnen nicht gelungen, für eine Jeschiwa (jüdische Hochschule, d.Red), oder eine Tagesschule Spenden zu mobilisieren, dann beriefen sie sich auf den Holocaust, und schon war das Geld da.

Können Sie erklären, warum die Überlebenden begeistert von solch grotesken Inszenierungen sind wie dem Gaskammer-Nachbau oder dem Plastikreplikat von Eingangstoren in Los Angeles?

Sie wollen eben, daß etwas bleibt, was „laut“ genug ist, daß man es nicht ignorieren kann. Das ist eben die andere Seite dieses „Holocaust-Booms“: Indem die Überlebenden ihre Generation aussterben sehen, wird ihnen klar, daß sie irgend etwas zurücklassen müssen. Traditionellerweise läßt man ein „Yad Vashem“ (hebräisch für Denkmal- und Gedächtnisstätte, gleichzeitig Name des berühmten Nationaldenkmals und Museums in Jerusalem, d.Red.) zurück, eine jüdische Tagesstätte oder eine Bibliothek, an der man seinen Namen liest. Die Überlebenden, die etwas selbstkritischer sind, haben mehr Schwierigkeiten mit diesen Inszenierungen, aber man kann nicht von Überlebenden verlangen, daß sie anders sind als andere Leute. Sie haben lieber ein schlechtes Museum als gar keins. In Miami versammeln sie sich um ein Monument, was ich häßlich und abstoßend finde, es ist eine Hand, die aus dem Boden ragt. Aber die Überlebenden finden es einfach phantastisch! Kunsthistoriker und andere Feinschmeckers hassen es. Darum geht es mir in meiner gesamten Arbeit: Die Beurteilung dieser Monumente muß mehr umfassen als nur ihre formalen Qualitäten; es geht auch um ihre soziale Funktion. Man muß leider zur Kenntnis nehmen, daß der Holocaust selbst keine neue Ästhetik oder Kunstform hervorgebracht hat; diejenigen Skulpturen oder Texte, die versuchen, den Brüchen in den Lebenslinien und diesem „Schwarzen Loch des Verstehens“ gerecht zu werden, benutzen Formen, die Joyce, Musil, Picasso oder Archipenko hervorgebracht haben. Interview: Mariam Niroumand

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