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Nachschlag

■ Hans Henny Jahnns „Familie Jakobsen“

Wunder sind uns zwar etwas verdächtig, doch das Wunderbare möchten wir nicht missen. An diesem Freitag abend im Theater am Halleschen Ufer ist es uns gleich mehrfach begegnet. Und mit leichter Verwunderung müssen wir feststellen: Auch auf das Wunderbare kann man verzichten. Es fehlt einem nichts dabei.

Eine Entdeckung hätte es sein können: Aus dem Nachlaß von Hans Henny Jahnn war ein frühes Drama zum Vorschein gekommen, „Familie Jakobsen“. Entsprechend hoch waren die Erwartungen der Jahnn-Verehrer, die sich eingefunden hatten, das noch nie gespielte Stück zu betrachten.

Karg ist die Bühne ausgestattet. Drei in Bettlaken gehüllte Personen wälzen sich auf Holzpaletten. Sie stöhnen – und erwachen. Käthe, Rudolf und Friedrich sind Geschwister und leiden, dies wird nach wenigen Augenblicken kundgetan, an der „Not“. Sie werden getrieben von schwülem Verlangen, von der Lüsternheit, und – man ahnt es schon – sie suchen „das Wunderbare“. Ungewöhnlich daran ist, daß Käthe ihren Bruder Rudolf heiß begehrt. Doch das stets etwas altklug wirkende Jüngelchen (Andreas Bisowski) will nicht so recht. Kurz vor dem Inzest treten die Eltern auf. Leider sind die beiden zu jung, als daß sie in dieser Rolle überzeugten. Nun gut, durch sie bahnt sich der nächste Konflikt an, denn Rudolf ist ein Taugenichts. Er ist dem Lehrmeister durchgebrannt und hält nichts vom Geldverdienen. Und da er verzweifelt das „Wunderbare“ suchen will, geht er, vom Vater beschimpft, auf und davon. Unterwegs begegnet ihm das „Wunderbare“ in Gestalt von Klara (Silvia Freund). Das ist ihr Pech, denn sie wird im Liebeseifer totgebissen. Das weitere ist einfach gestrickt: Rudolf wird gefaßt, der Vater des ermordeten Mädchens verliebt sich in den Jüngling und entschuldigt die Tat, Rudolfs Vater hingegen wird zum Ankläger gegen den eigenen Sohn. Und der will gern den süßen Tod erleiden, da er „dem Wunderbaren“ ja begegnet ist. Er baut sich eine Richtstatt und läßt sich von der Schwester den letzten Liebesdienst erweisen: Sie erdolcht ihn, langsam und hingebungsvoll.

Ungehemmt schwurbelt und wirbelt der Expressionismus in diesem Stück. Lippen sind wie „schwerer Wein“, die Seele „wird getrunken“, und das einzig Wahre ist „das Wunderbare“. Redlich haben sich die Studenten der FU-Studiobühne bemüht. Doch die brave Inszenierung (Regie: Bernd Mottl) beläßt das Stück in seinen zeitgebundenen, heute verstaubt wirkenden Widersprüchen und vermag es nicht, der „Familie Jakobsen“ das Odium eines Lehrstücks für Theaterwissenschaftler zu nehmen. Gezeigt wird ein pathetisches Schmachtopus, dessen Konflikte heute nurmehr unfreiwillig komisch wirken. Schade. So kehrt man zurück zum Fluß ohne Ufer. Zum wirklichen Wunder eben – und auf das können und wollen wir nun doch nicht verzichten. Stephan Schurr

„Familie Jakobsen“ im Theater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32, weitere Vorstellungen: 20. bis 25. Juli, jeweils 20 Uhr.

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