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Auf dem langen Weg durchs Büro

Inkompetente Fachbehörden und trübe Aussichten für die Nordsee: Eine Studie des Bremer World Wide Fund For Nature deckt Defizite im bundesdeutschen Umweltrecht auf  ■ Von Sven-Michael Veit

Hamburg (taz) – Es gab Leute, die meinten, daß vorsichtiger Optimismus nicht fehl am Platze sei. Damals, vor drei Jahren, als auf der Internationalen Nordsee-Konferenz im niederländischen Den Haag Thatcher, Kohl und andere Köpfe sich dieselben über den Schutz und die Säuberung der Nordsee zu zerbrechen vorgaben.

Natürlich, auch diesen vorsichtigen Optimisten war der publicitygeile Politrummel von Den Haag peinlich. Auch der Kritik von Umweltverbänden, die gefaßten Beschlüße seien „unzureichend“, stimmten die Optimisten zu. Aber, so gaben sie zu bedenken, ein Anfang sei gemacht und Hoffnung nicht unberechtigt.

Irren ist menschlich, und deshalb sei ihnen verziehen. Unverzeihlich ist hingegen, was dieser Tage eine Studie des Bremer World Wide Fund For Nature (WWF) aufdeckte: In den norddeutschen Küstenländern Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden bislang selbst die dürftigen Vorgaben der Haager Konferenz mehr schlecht als recht umgesetzt. Und in Landesumweltrecht schon gar nicht.

Sabine Winteler und Helga Neumann-Henseler vom Hamburger Umweltforschungsinstitut Ökopol haben im Auftrag des WWF ein „Einleiterkataster Deutsche Nordseeküste“ erstellt. Eine zweijährige Fleißarbeit voller sperriger Formulierungen und nüchterner Zahlenkolonnen, hinter denen sich ein niederschmetterndes Ergebnis verbirgt: Nicht einmal in der Theorie ist in den vergangenen drei Jahren viel passiert, was die Nordsee auch nur etwas sauberer macht. Es gab Fälle, so berichtet Sabine Winteler, da habe sie bei den Behörden nachgefragt, ob es sich denn wirklich um den aktuell gültigen Bescheid handele. „Doch, doch“, lautete jedesmal die Antwort. Neun Firmen an der bundesdeutschen Nordseeküste, so das Ergebnis der Recherche, leiten schadstoffhaltige Abwässer in das Meer oder in die Mündungen der großen Zuflüsse aufgrund von Bewilligungsbescheiden, die älter als acht Jahre sind. „Mit Umweltschutz hat das herzlich wenig zu tun“, findet Sabine Winteler, „und mit der Rechtslage auch nicht.“

Dabei untersuchten die Ökopol-Gutachterinnen nicht einmal die tägliche Einleitungspraxis, also die tatsächlichen Giftmengen, die in das Meer oder in Elbe, Weser und ein Dutzend weiterer Flüsse gekippt werden. Sie prüften lediglich, inwieweit die Beschlüsse der Nordsee-Konferenz und zwischenzeitlich erlassene EG-Richtlinien in das Umweltrecht der norddeutschen Küstenländer übernommen wurden. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind ernüchternd:

– Die Einleitungsbescheide für Fabriken und andere industrielle Großeinleiter sind häufig überaltet und entsprechen somit nicht dem heutigen Stand der Umweltschutztechnik.

– Vor allem für die chemische Industrie gibt es noch immer keine verbindlichen Abwasserverwaltungsvorschriften.

– Der Beschluß der Nordsee- Konferenz, innerhalb von fünf Jahren die Einleitung der hochgiftigen Schwermetalle Cadmium, Blei und Quecksilber sowie des Ultragiftes Dioxin gegenüber dem Stand von 1985 um siebzig Prozent zu verringern sowie die Einleitung „anderer gefährlicher Schadstoffe“ um fünfzig Prozent zu reduzieren, kann nicht auf seine Einhaltung überprüft werden: Die dafür erforderlichen Daten aus dem Jahre 1985 sind noch immer nicht erfaßt worden, die Vergleichsgrundlage mithin nicht vorhanden.

– Für etliche giftige Schwermetalle sind in den Abwasservorschriften Niedersachsens und Schleswig-Holsteins im Widerspruch zu den Forderungen der Nordsee-Konferenz keine Grenzwerte festgeschrieben worden.

Insgesamt, so Stephan Lutter, Projektleiter Nordsee beim Auftraggeber WWF, habe das Gutachten „erhebliche und schwerwiegende Defizite“ aufgedeckt. Es gebe „erschreckende Diskrepanzen“ zwischen der „Rechtslage vor Ort“ und den mit viel Publicity der Öffentlichkeit verkauften Haager Beschlüssen.

Das trübe Bild, das von der hundert Seiten starken Studie enthüllt wurde, wirft ein eher schummriges Zwielicht auf die Arbeit in den zuständigen Länderministerien. Nur „sehr langsam und zögerlich“, schlußfolgert Lutter, würden in den Amtsstuben in Hannover, Bremen und Kiel internationale und verbindliche Richtlinien und Beschlüsse umgesetzt. Anders sei es nicht zu erklären, daß noch immer etliche Fabriken auf der Grundlage von Einleitungsbescheiden aus der Mitte der achtziger Jahre ihren „Schiet“ ins Wasser schütten.

Bis eine Verwaltungsvorschrift, die auf international akzeptierten Beschlüssen fuße, erlassen würde oder gar ein Einleitungsbescheid einer erlassenen Vorschrift angepaßt würde, vergingen „Jahre, wenn nicht ein Jahrzehnt“ – mehr Zeit zumindest, als die Nordsee habe. Selbst wenn eine rechtliche Handhabe existiert, die Nordsee und ihre Zuflüsse sauberer zu machen, wird sie nicht angewandt. Doch Lutter ist weit davon entfernt, an bösen Willen zu glauben. „Gelegentlich“, so schwant ihm, könne man sich nicht des Eindrucks erwehren, „daß in einigen Behörden die erforderliche Fachkompetenz nicht unbedingt vorhanden ist“.

Auf Sabine Winteler und Helga Neumann-Henseler kommt nun die Nagelprobe zu. Im nächsten Schritt nämlich will der WWF untersuchen lassen, ob und wie genau die Behörden kontrollieren, inwieweit sich Betriebe und Fabriken an die veralteten Einleitungsbescheide halten. Denn die entscheidende Frage, wie es „tatsächlich vor Ort am Rohr“ aussieht, harrt noch ihrer Beantwortung.

Selbst die vorsichtigen Optimisten von vor drei Jahren wagen inzwischen nicht mehr zu hoffen, daß die Praxis erfreulicher sein könnte als die Theorie.

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