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Rampen zu Waschanlagen?

Die Bundesbahn plant in Berlin eine ICE-Reinigungszeile an den Nazi-Deportationsrampen des Güterbahnhofs Grunewald / Gespräch zwischen Bubis und Bundesbahnchef Dürr  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Dicht neben dem S-Bahnhof- Grunewald in Berlin steht eine drei Meter hohe und 18 Meter lange Betonwand. In diese Wand hinein sind die Negativformen sieben aufrechtgehender Menschen herausgemeißelt. Es ist ein Denkmal für die Berliner Juden, die ab 1941 in den Osten und in den Tod geschickt wurden. Eingeweiht wurde es am 18. Oktober 1991, genau 50 Jahre nachdem der erste Deportationszug vom Güterbahnhof Grunewald nach Lodz rollte. 100 Meter weiter von dieser Gedächtnisstätte entfernt, befindet sich eine weitere Schreckensmarkierung. In einem kleinen Stellwerkerhäuschen ist eine unscheinbare Tafel mit einem deutschen und hebräischen Erinnerungstext an die 35.000 deportierten Berliner Juden eingelassen. Das Reichsbahngelände auf dem am 18. Oktober 1941 der erste Zug mit Menschen beladen wurde, war und ist bis heute nicht zugänglich. Müll und Schrott säumen die Gleise.

Dieser verwahrloste Erinnerungsort, an dem jahrzehntelang und bis heute die Reichsbahn Güterzüge mit Bauschutt be- und entladen läßt, steht jetzt in Berlin im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Denn die Bundesbahndirektion in Frankfurt plant, wie Anfried Bayer-Fuchs, Sprecherin beider Bahnen, bestätigte, hier auf dem Güterbahnhof Grunewald bis 1997 eine „Wagenbehandlungsanlage“ zu erbauen. Die aus dem Südosten anrollenden ICEs, die normalen Intercitys und die Interregios sollen im Schrittempo durch eine Waschanlage fahren und schön blank geputzt wieder herauskommen. Diese Pläne sind, wie sie weiter sagte, ein „technologisch unverzichtbares Gegenstück“ zu einem ebenfalls für 1997 geplanten ICE Bahnbetriebswerk in Rummelsburg.

Um diese Waschanlage aber bauen zu können, so befürchtet die Jüdische Gemeinde in Berlin und von ihr benachrichtigt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, müssen Rampen, auf denen einst Berliner Juden in die Züge geprügelt wurden, verschwinden. „Das ist nicht akzeptabel“, sagte Bubis der Tageszeitung „Die Welt“ und weiter, daß die Pläne der Bundesbahn „auf mangelnde Sensibilität schließen lassen“.

Gestern nachmittag trafen sich nun Ignatz Bubis und der Bundesbahn-Chef Heinz Dürr zu einem eilig angesetzten Krisengespräch, daß den Verlautbarungen beider Parteien zufolge, vorerst zufriedenstellend verlaufen ist. Ignatz Bubis und Heinz Dürr verabredeten sich noch für diesen Monat zu einem Ortstermin auf dem Güterbahnhof Grunewald. Bis dahin will die Bundesbahn ihre Waschanlagenpläne auf Eis legen. Sollte aber, und zwar ganz gleichgültig auf welchen Quadratmetern des riesigen Bahngeländes, eine Anlage errichtet werden, will Heinz Dürr sich für die Errichtung einer neuen und „würdigen Gedenkstätte“, am Bahnhof Grunewald einsetzen. Ob diese geplante Gedenkstätte, denn sie wäre ja neben dem Mahnmal und der kleinen Tafel der dritte Erinnerungsort am Platz, auch auf die Rolle der Reichsbahn bei den Deportationen eingehen wird, war bis gestern nicht zu erfahren.

Diese Vereinbarung „Ortstermin“ ist ganz im Sinne des renommierten Antisemitismusforschers Wolfgang Scheffler und des Direktors des Berliner Museums für Verkehr und Technik Günther Gottmann.

Beide plädierten gestern gegenüber der taz für „Besonnenheit“ und „leisere Töne“. Laut Wolfgang Scheffler steht bis heute noch nicht fest, wieviel Deportationszüge vom Bahnhof Grunewald aus, in den Osten fuhren. Durch Akten belegt und in einem eben erschienen Buch „Die Grunewald- Rampe“ (Edition Colloquium Berlin) bewertet, wurden im Oktober und November 1941 etwa 4.000 Juden vom Bahnhof Grunewald aus, deportiert. Die übergroße Mehrheit von über 30.000 weiteren Berliner Juden sind entweder nach Auschwitz vom Bahnhof Puttlitzbrücke oder nach Theresienstadt vom Anhalter Bahnhof aus deportiert worden. Weil, wie die Historikerin Martina Voigt betonte, die Akten der Berliner Gestapo-Leitstelle verbrannt sind, weiß man auch bis heute nicht, an welchen Grunewalder Rampen das Leid begann.

Aber selbst, wenn man dies wüßte, sagt Günther Gottmann, wäre die Aufregung um eventuell überbaute Rampen „übertrieben“. Denn authentische Spuren gebe es am Bahnhof Grunewald nicht mehr. Sowohl die Gleisanlagen als auch die umstrittenen Rampen seien „Nachkriegsware“ und standen schon alleine deshalb nie unter Denkmalschutz. Und sein wichtigstes Deeskalationsargument ist: „Historisches Gedenken kann nur auf öffentlichem Gelände möglich sein.“ Der Güterbahnhof Grunewald sei sowohl für Opfer als auch für trauernde Bürger weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart jemals zugänglich gewesen. Die Erhaltung eines für das Publikum geschlossenen Teils einer Vielzweckanlage diene nicht der Erinnerung, sagte er. Oder anders ausgedrückt: „Ein Buch, daß in der Wüste liegt, ist noch kein Buch, denn für die Termiten ist es nichts als Futter, für den Negerjungen ein Sonnenschirm. Denn ein Buch wird erst zum Buch, wenn es gelesen wird“.

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