: Wir lagern in Mogadischu
Heute morgen hat der erste große Auslandseinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Die Regierung mochte auch die jüngsten Angriffe in Somalia nicht zum Anlaß nehmen, ihre Blauhelme zum Rückzug zu pfeifen.
Die Lage in Mogadischu bleibt gespannt. Heckenschützen feuern auf UNO-Soldaten, Artilleriegeschosse schlagen im Flughafen ein: Es wird kaum möglich sein, die deutschen Soldaten umfassender zu schützen als Angestellte von Hilfsorganisationen und Journalisten, in deren Reihen der somalische Bürgerkrieg Opfer gefordert hat. Eine aktive Verwicklung in Kampfeinsätze ergibt sich daraus nicht als zwangsläufige Folge. Die Bundeswehr ist in Mogadischu nicht mit dem Schutz von Gebäuden oder der Suche nach Waffen betraut.
Unklar ist gegenwärtig, ob sich durch die Ereignisse der vergangenen Wochen die internen Bündnisstrukturen in Somalia verändern. „Es finden in diesen Tagen so viele Beratungen und Treffen zwischen somalischen Gruppierungen statt, daß es unmöglich ist, den Überblick zu behalten“, meint ein Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes. In den letzten Tagen hat sich allerdings gezeigt, daß keine Bürgerkriegsfraktion vor Gewalt gegen UNO-Truppen mehr zurückschreckt, wenn sie ihre Interessen bedroht sieht: Italienische Truppen wurden ausgerechnet im bislang weitgehend friedlichen Nordteil der Stadt beschossen. Dort herrscht Ali Mahdi, der schärfste Rivale des von der UNO als Verbrecher gesuchten Farrah Aidid.
Die Regierung in Rom setzt dem harten Kurs der USA gegen Aidid die Forderung nach einem Dialog mit allen Fraktionen entgegen. Die Schüsse auf italienische Soldaten wurden offenkundig von Milizen Ali Mahdis abgefeuert, die der ehemaligen Kolonialmacht Italien die Bereitschaft zu Verhandlungen mit dem Gegner verübeln.
Für die deutschen Soldaten dürfte es von besonderem Interesse sein, auf welche Seite sich der Clan der Hawardle stellt. Diese Gruppe blieb im Kampf zwischen Ali Mahdi und Farrah Aidid weitgehend neutral und hat am Krieg vor dem Einmarsch der ausländischen Truppen gut verdient, weil sie monatelang Hafen und Flughafen der Hauptstadt kontrollierte.
Die Hawardle waren vor Ankunft der UNO-Soldaten zwar nicht der größte, aber der mächtigste Clan in Belet Huen, der Kleinstadt nahe der äthiopischen Grenze, wo der größte Teil der Bundeswehrsoldaten stationiert sein wird. Beim siegreichen Kampf um eine Militärbase gegen die Regierungstruppen Siad Barres im Jahre 1990 konnten die Hawardle dort zahlreiche Waffen erbeuten. Eine allgemeine Entwaffnung würde ihre Position in besonderer Weise schwächen. Belet Huen wird zum Ausgangsort militärischer Aktionen indischer Truppen in Richtung Norden, für die die Bundeswehrsoldaten die logistischen Voraussetzungen schaffen sollen. Geplant ist u.a. ein Vorstoß nach Dusa Mareb, dem Kernland Farrah Aidids. Auf einen freundlichen Empfang dort können UNO- Kontingente nicht rechnen. Solange die deutschen Soldaten jedoch in Belet Huen bleiben, ist ihre unmittelbare Verwicklung in Kampfeinsätze unwahrscheinlich. Zwar herrschen auch unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen innerhalb der Kleinstadt Spannungen, Beobachter glauben angesichts der Übermacht des ausländischen Militärs jedoch nicht an deren gewaltsame Entladung.
Hilfsaktionen in weiten Teilen Somalias sind durch die Eskalation der Gewalt in Mogadischu in den letzten Wochen erschwert worden und über Tage hinweg fast völlig zusammengebrochen. Vom Hafen der Hauptstadt aus gehen Gütertransporte in Ortschaften im Umkreis von mehreren hundert Kilometern. Der Landweg ist billiger als eine Versorgung aus der Luft, allerdings auch gefährlicher, weil vielerorts nach wie vor Plünderer auf Beute hoffen. Das Welternährungsprogramm WFP muß jetzt jedoch mit Lastwagen voller Lebensmittel im Hafen bis zu einer Woche auf bewaffneten Begleitschutz warten, weil, wie eine Sprecherin erklärt, „die Soldaten mit anderen Aufgaben beschäftigt sind“.
Die Hungersnot in Somalia konnte in den letzten Monaten weitgehend unter Kontrolle gebracht werden, so daß durch die Verzögerung der Lebensmitteltransporte derzeit keine Menschenleben bedroht sind. Gefährdet sind aber unter Umständen mittelfristig sogenannte food for work-Programme, in denen somalische Angestellte bei Hilfsorganisationen in Naturalien entlohnt werden.
Der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur in ländlichen Gebieten Somalias ist eine notwendige Voraussetzung, um die Lage zu stabilisieren. Krankenhäuser und Schulen müssen gebaut, Straßen und Brücken repariert und Fabriken instand gesetzt werden, soll den bewaffneten Kämpfern aller Fraktionen ein Anreiz geliefert werden, in ihre Heimatprovinzen zurückzukehren. In dem Beharren der Milizen, dort zu bleiben, wo die größten Pfründe auszubeuten sind – also vor allem in Mogadischu und der südlichen Hafenstadt Kismayo –, liegt eine Wurzel des Machtkampfes zwischen den verschiedenen Fraktionen. Bettina Gaus, Nairobi
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