: Somnamboulevard — Das Geldsanatorium Von Micky Remann
Beim Versuch jener Findelkinder, unter den obwaltenden Umständen wieder erwachsen zu werden, kam es zu teils vorhersehbaren, teils unvorhersehbaren Komplikationen. Sie begannen mit der Frage der Zielfindung, die sich jeder bewußte Säugling zu stellen hat, namentlich, was denn das Erwachsensein bedeutet.
Ist es ein Zustand des Post-Infantilismus oder eines Prä-Senilismus, und was unterscheidet ihn von anderen Daseinsphasen? Dies fragten sie sich mehrfach in ihren telepathischen Träumen im Gasthaus Zur Goldenen Sprachlogik, wußten aber keine Antwort. Hinzu kam, daß sich die Hoffnung einiger Säuglinge, von Leihmüttern großgezogen zu werden, die man aus der Deo- Werbung als das 'schwedische Bikini-Team‘ kennt, schnell zerschlug. Statt dessen vollzog sich ihre Sozialisation unter der Obacht der etwas schrulligen Schwiegermutter des Hamsterfutterverkäufers, die von den allmählich ihrer Sprache wieder mächtig werdenden Kleinkindern stets mit 'Schwiehamfu‘ angesprochen wurde, wobei die Betonung auf 'ham‘ lag. Sie kümmerte sich nach Kräften um ihre Zöglinge, säugte sie mit Wurstzipfeln und Weinbrandbohnen und füllte ihnen bei Leibgrimmen Glühwein in die Wärmflasche.
Eine der Betroffenen, Susanne, hatte nun die Zeit ihrer teils juvenilen, teils fiebrigen Meditationen dazu genutzt, sich zu entschließen, Finanzexpertin zu werden. Das Problem liegt darin, sagte sie, daß die Leute das Geld, welches sie durch ihre Portemonnaies zirkulieren lassen, oft mit Mangel- und Notgefühlen aufladen, für die das Geld gar nichts kann. Dadurch würden Münzen und Scheine zu Trägern einer feinstofflichen Negativinformation, die erstens nicht so erkennbar sei wie der von der Bundesbank geprägte Nominalwert und zweitens eine verdammt kontraprosperitive Wirkung entfalten könne, analysierte Susanne.
Sie erblickte in diesem Forschungsfeld eine lohnenswerte Aufgabe und übte schon mit dem ersten Taschengeld, die Ängste der Groschen zu erspüren, die Wehklagen der Markstücke zu erlauschen und, doch das war der schwierigere Teil, sie in relaxtere Vibrationen zu transmutieren. Daß sie damit unerklärliche, aber durchschlagende Erfolge erzielte, erwies sich bald anhand der prallen Fülle ihres Sparschweins. Als Animistin im Vorschulalter hatte sie keinerlei Bedenken, jedes Geldstück, das sie ausgab, zuvor mit einem magisch-sublimativen Lobgesang zu imprägnieren, der entfernt an das Rauschen und Gluckern der Südsee erinnerte. Darin war die Einladung enthalten, alle Gelder, mit denen die besungene Münze je in Kontakt treten würde, möchten doch zur Erholung in ihr, Susannes, Helgoländer Sparschwein bzw. Konto kommen. Dort dürften alle verängstigten und beladenen Penunzen dann wie die Sommerfrischler mal so richtig ausspannen. Die Verheißung verbreitete sich auf den Finanzmärkten wie ein umgekehrter Börsenkrach, plötzlich wollte alles Geld nach Helgoland. Sparschwein und Susanne wuchsen daraufhin exponentiell, was schon bald die Gründung eines eigenen 'Geldsanatoriums‘ erforderlich machte. Über Nacht wurde es zum beliebtesten Urlaubsziel für gestreßte Devisen.
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