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Unser Dialekt und der Existenzialismus

Wie wir durch den Heidegger-Martl zu einer Art Bumerang wurden, und was das für eine Plage ist  ■ Von Oskar Maria Graf

Der Dialekt vernichtet mit wenig Worten alle unechten Übertriebenheiten und verweist uns immer wieder in die natürlichen Grenzen. Ich weiß nicht, in wieviel Abwandlungen schon geschrieben worden ist, daß die Sprache den Charakter und die Begabung eines Menschen zeigt. Wie einer spricht und schreibt, heißt es, so denkt, sieht und empfindet er. Absolut darauf versteifen möchte ich mich nicht, aber eins ist sicher: Jeder Dialekt, und unser altbayrischer ganz besonders, hat eine schier bestürzende Kraft des respektlosen Profanierens. Es ist auch ein ganzer Haufen Bosheit dareingemischt, gegen deren spezifische Direktheit kein Witz, keine Schlagfertigkeit aufkommt. (...)

Er hat neben der Bildkraft seiner Ausdrücke und Bezeichnungen auch noch eine echt bäuerliche Eigenschaft: Er läßt sich kein X für ein U vormachen, und das nirgends und nie. (...) Erinnerlich ist mir, daß auch der Nietzsche-Fritzl einmal geschrieben hat: „Gott ist tot“ und „Die Wüste wächst“. (...) Zum Beispiel darf man da nicht einfach wie unsereiner annehmen, daß mit ,Existenz‘ etwa unser gesichertes Aus- und Fortkommen gemeint ist, sondern unser inwendiger Zustand, das ,Existentielle‘. Das Wort hat seinerzeit ein recht sonderbarer Mensch im Dänischen droben aufgebracht, Kierkegaard hat er sich geschrieben, und die Schriftstellerei hat er betrieben. (...)

Gebracht hat er es dabei zu nichts, und bereits mit 42 Jahren ist er Anno 1855 bettelarm gestorben. Daß er vielleicht deswegen, weil er fort und fort recht arge private Existenzsorgen gehabt hat, daraufgekommen ist, den Grundsatz abzufassen: „Das Existieren ist des Existierenden höchstes Interesse“, kann nicht stimmen. Dazu war er ein zu eigensinniger Tüftler, und außerdem hat er dummerweise ein ganz ernsthafter, fanatischer Christ werden wollen. (...)

Unser alter Pfarrer Johst hat das in seinen Predigten immer so ausgedrückt: „Und, meine christkatholischen Zuhörer und Zuhörerinnen, den Glauben verloren, alles verloren – die Nichtsigkeit geht an, wo dir der Allmächtige nicht mehr und noch viel weniger dein Nächster beistehen kann.“ Die Nichtsigkeit heißen die Studierten ,das Nichts‘, und dieses ist seither auch hochseriöses Schlagwort geworden. Diesen inwendigen Zustand vom Kierkegaard hat der Heidegger-Martl, weil man ja einen alten Gedanken, der bereits Moos angesetzt hat, immer wieder mit neufassonierten Wörtern ausdrücken muß, damit er wieder wie was Eigenes und Originales aussieht, als unser ,jemeiniges und jeeigenes In-der-Welt-Sein‘, ein ,In- Sein‘ betitelt. Er ist aber mit seiner Denkerei nicht arm geworden, wie der Dänische da droben, er hat es bis zum hochangesehenen Professor gebracht damit, und schwärmerische Verehrer und Jünger von ihm gibt's jetzt auf der ganzen Welt.

Eine saubere Existenz

(...) Heute ist der Martl vielleicht kein Katholik mehr, aber am Anfang muß er auch ein recht eifernder gewesen sein, scheint mir, weil er auf Geistlichkeit studiert und Jesuit hat werden wollen. Bis man als ausgelernter Geistlicher vom schlechtbezahlten Kooperator zum Pfarrer aufrückt und alsdann fürs Leben versorgt ist, das geht ja auch oft arg lang her, und bis einer zum gelehrten Jesuiten wird, ist vielleicht noch schwieriger. Wahrscheinlich hat das Philosophiefach schnellere und leichtere Erfolgsaussichten, insbesondere wenn man ein gewitzter Kopf ist und die Zeit versteht. Das ist dem Heidegger-Martl gewiß nicht abzusprechen, denn genau wie jeder Geschäftsmann, der neu aufmacht und seine Konkurrenz aus dem Feld schlagen will, hat er von Anfang an einfach gesagt, alle seine Fachkollegen, ob schon verstorben oder noch am Leben, haben bisher radikal falsch gedacht, ,denken‘ tut bloß er richtig. Folgedessen hat er sich auch nicht mehr als ,Philosoph‘ firmiert, sondern als ,Denker‘, und hat – wie die Zeitungen geschrieben haben – „eine von Grund auf neue Denkweise“ in Schwung gebracht. Was das für einen Staub aufgewirbelt hat bei seinen Fachkollegen, nicht zum Sagen! Jeder aber weiß, wie nützlich so was geschäftlich ist, und dem Martl war das ganz recht. ,Überrollen‘ – was ein Lieblingswort von ihm ist – hat sich der nicht lassen, im Gegenteil, er hat alle anderen überrollt. (...)Also, daß der Martl eine Unmasse Bücher liest, wo das drinnensteht, was man weiter um- oder ausdenken kann, ist natürlich selbstverständlich. In dieser Hinsicht ist er einfach großartig. Da läßt er alsdann nicht mehr locker, da wird er so angeregt, daß er seine Denkerei nicht mehr zurückhalten kann, da fängt dieselbige förmlich zu galoppieren an, und keiner kann sie mehr einholen. Schätzungsweise um die Zeit – nach dem Ersten Weltkrieg, der Revolution und der Inflation –, wo der Moosbauer immer vom ,abgeschafften Herrgott‘ herumräsoniert hat, da muß der Heidegger-Martl wieder einmal auf die windigen Nietzsche- Sätze gestoßen sein: ,Gott ist tot‘ und ,Die Wüste wächst‘. Er überlegt, schaut hinum, schaut herum und muß sich – um es mit einem hochmodernen Gelehrtenwort auszudrücken – umgreifenderweise eingestehen: Der einzelne Mensch steht nach alldem, was ihm zusammengebrochen ist, wirklich im blinden Nichts, er ist ihm in- und auswendig überliefert. Wie Butter in der Hochsommersonne ist ihm das, an was er sich bisher noch halbwegs hat halten können, zerronnen und verdampft, und nichts mehr ist ihm geblieben als sein nacktes Dasein, die lumpige Sorgerei um dieses und schließlich die Angst vor dem Tod. Denn wenn zum Beispiel, wie wir es ja damaligerzeit alle mitgemacht haben, der Preis von zehntausend Mark für ein Viertelpfund Leberkäs' in einer Stunde auf das Doppelte steigt und du dir, wenn du nicht gleich zugreifst, schließlich auch für den lumpigen Zwanzigtausender bloß noch eine trockene Semmel kaufen kannst, da gilt nicht mehr bloß das Geld nichts mehr, da hört sich alles auf. Aus ist's da mit dem Glauben an den Herrgott, der bloß noch die Schieber prassen und die anderen Leute verhungern läßt, aus ist's mit jeder Religion, und Anstand und Rücksicht auf den Nächsten gelten bloß noch als Dummheiten. (...)

Daß dieser abscheuliche Zustand nicht von ungefähr gekommen ist und auch nicht was Zeitweiliges bleiben wird, hat verdienstvollerweise der Heidegger- Martl sofort erkannt und also entschlossen argumentiert: In einer solchen Nichtsigkeit, wo es überall aschenfad nach Nichts riecht, da kann man mit so altmodischem Zeug wie ,Gott‘, ,Religion‘ und allem, was drum und dran hängt, aus dem Publikum keine Aufmerksamkeit mehr herauslocken, da muß was durch und durch Neues her! In richtiger Witterung hat er deswegen auch den einzelnen Menschen nur noch als ,Platzhalter des Nichts‘ bezeichnet, und dieses Charakteristikum hat sich alsogleich jeder saudumme Geck als Vorwand für seine Nichtsnutzigkeit zugelegt. Ob einer freilich etwas für nichts sein kann, fragt sich, und der Martl selber hat sich natürlicherweise auf so eine schäbige Platzhalterei nicht eingelassen, denn, hat er gesagt: „Der Denker sagt das Sein.“ Und um seinen unterschiedlichen Rang zu bekräftigen, hat er also gleich seine eigene Denkerei aufgezeigt und so manipuliert: Statt ,Gott‘ hat er nicht etwa das damals schon weitverbreitete, abgebrauchte ,Nichts‘, sondern das kulantere Wort ,Sein‘ gesetzt. Er schreibt es, damit's tiefsinniger und geheimnisvoller aussieht, mit Ypsilon. Und, gibt er an, dieses ,Seyn‘ hat jeden von uns in ein leeres ,Da‘, in die ,jemeinige und jeeigene Existenz unseres Da- Seins‘ geworfen. Das ist unser ,Seinsgeschick‘. Dadurch sind wir zum ,Gegenwurf‘, zu einer Art Bumerang geworden, der – man möchte es nicht glauben, was das für eine Plage ist – immer wieder ins ,Seyn‘ zurückgeworfen wird, aber dort doch nie ankommt, solange sich nicht jeder von uns einen ,Existenzentwurf‘ gemacht hat, eine Art Gebrauchsanweisung, damit wir fähig sind, es von Fall zu Fall zu merken, ob wir wenigstens eine ,Lichtung des Seins‘ erreicht haben. Das Ausschlaggebende aber ist vorderhand, um es mit einer lustigen altbayrischen Redewendung auszudrücken: „Do san mir beim Dosei.“ (...)

Ein religiöser Gesundbeter

Auffällig ist mir bloß, was der Heidegger-Martl in einem fort mit seiner Werferei hat. Daskönnt' ihm vielerorts sehr schlecht ausgelegt werden. ,Geworfen‘ hat mich meine Mutter selig nicht, sie hat mich geboren. Werfen tut bei uns bloß eine Sau, und zwar einen Wurf Ferkel, der gewiß nicht als ,Gegenwurf‘ aufgefaßt werden kann. Noch bedenklicher ist's, wenn unterstellt wird, daß der Martl vielleicht mit ,Seyn‘ wirklich Gott meint. Daß unser Herrgott ,geworfen‘ hat, ist schon rein zum Grausen. Dabei ist doch der Martl durchaus kein zynischer Verneiner wie der Sartre-Pauli, sondern eher ein religiöser Gesundbeter, der uns immer und immer wieder dem reinen Sein näherbringen will. Ich begreif' nicht, wie ihn seine Verehrer und Jünger noch nie auf seine mißverständliche Werferei aufmerksam gemacht haben. Wahrscheinlich aber sind sie von allem, was er von sich gibt, so hingerissen, daß sie es ihm einfach wie Papageien nachplappern. Mich aber täuscht der nicht mit seiner verworfenen Denkerei. Ich hab' sogar gemerkt, daß ihm dabei oft selber angst wird, weil er alsdann oft und oft umsteckt und seinem ,Seyn‘ eine ganze Preisliste der besten Eigenschaften zudichtet, wie zum Beispiel, daß es ,das Offene, Lichtende, das Schickende‘ und noch allerhand viel Besseres ist, welches ,lichtet‘, in dessen ,Gunst‘ und ,Huld‘ wir stehen, und daß wir manchmal von seiner Stimme ,angerufen‘ werden usw. usw. Dieses gefällige Ausschmücken macht ihm so schnell keiner nach, dem Martl. (...)

Schad ist bloß eins beim Martl: Er muß in der Volksschule unser Schriftdeutsch nicht richtig gelernt haben. (...) Der dreht einfach den Spieß um und behauptet steif und fest, wir wissen nicht, was mit dem und dem Wort gemeint ist, das er erfunden hat, es kommt überhaupt nicht darauf an, was es faktisch und bildlich bezeichnet, sondern darauf, was in ihm ,west‘. Und über dieses darin ,wesen‘ weiß selbstredend nur der Martl allein das Richtige. Das Wesentliche an allem ist überhaupt und immer, daß das Wesen in ihm drinnen ,west‘, ganz gleich in was. Um dieses im Druck augenfällig und recht eindringlich zu machen, trennt er sehr oft die Wörter nach eigenem Ermessen, wie etwa ,Ek-sistenz‘, damit gleich zwei Wesenheiten darin aufblitzen sollen, das ekstatische Hinstreben des Existierenden ins ,Sein‘ oder ,Da-Sein‘, beides groß gedruckt, um zu betonen, daß eins ohne das andere nicht sein kann, oder – entschuldigen Sie bitte – statt Abort bedeutsamkeitshalber das getrennte ,Ab-Ort‘. Die Herrschaften werden sich vielleicht unter dem, was da drinnen ,west‘, recht was Unappetitliches vorstellen, aber – wie wär's auch möglich? – das ist beim Martl durchaus nicht der Fall! An diesem Ort west vielmehr das von uns Abwesende ins Verwesende, und wie das vonstatten geht, kann sich jeder, je nachdem, was er für einen Stuhlgang hat, selber ausdenken. (...) Selbstredend werden gescheite Leute, die sich mit Haut und Haar dem Martl seiner Originaldenkerei verschrieben haben, über das, was ich bis jetzt dagegen vorgebracht habe, bloß mitleidig lächeln. Wenn sie mich persönlich kennen, werden sie mir vielleicht gönnerhaft auf die Schulter klopfen und aller

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