: „Ich will die Roma nicht bevorzugen“
Im slowakischen Vtáckovce wurde ein Rom zum Bürgermeister gewählt / Doch gegen die wachsende Arbeitslosigkeit ist auch er machtlos / Spannungen zwischen Roma und „Weißen“ ■ Von Stephan Müller
Vtáckovce liegt keine zwanzig Kilometer vom ostslowakischen Košice entfernt. Umfährt man den eigentlichen Ort und folgt der talabwärts führenden Straße Richtung Wald, kommt man zur Roma- Siedlung. Dort endet die Straße.
Vtáckovce ist keines der armen Roma-Dörfer, wie sie in der Slowakei so häufig sind. Keine schiefen Holzhütten oder halbeingefallenen Schober, die als Unterkunft dienen. Solide Steinhäuser mit kleinen Gärtchen prägen das Bild. Aber trotzdem leben die Roma auch hier, wie viele der ca. 400.000 Roma in der Slowakei, in einer geschlossenen Siedlung, abseits des eigentlichen Dorfes. Oft sind diese Siedlungen durch eine „natürliche Grenze“, einen Bach, einen Fluß oder einen Hügel von den Nicht- Roma getrennt. Selten sind sie an die örtliche Infrastruktur wie Kanalisation, Straßennetz oder an die Wasserversorgung angeschlossen. Diese Siedlungen haben eine lange Tradition und werden daher auch als eine Normalität hingenommen.
„Das war schon unter Maria Theresia so. Und daran hat sich auch nichts geändert. Wir sind es gewohnt, unter uns zu leben. Und die Weißen wollen auch unter sich bleiben.“ Eva Gáborova sieht die Situation nüchtern. Ärgerlich wird sie nur, wenn sie auf „wirkliche“ Ungerechtigkeiten zu sprechen kommt: „Die Weißen wohnen auf dem Berg, wir am Fuß des Berges. Die Weißen oben haben gute Brunnen. Wir holen aus unseren oft nur eine schmutzige Brühe.“
Im letzten Sommer war die Situation besonders schlimm. Nachdem einige Kinder an Magen- und Darminfektionen erkrankt waren, wurde das Wasser nicht mehr benutzt. Nur die Versorgung durch Tankwagen, die täglich das Wasser aus Košice nach Vtáckovce brachten, konnte eine Ausbreitung der Krankheit verhindern.
Nächtliches Ausgangsverbot für Roma
Das Verhältnis zwischen den Roma und den „Gadsche“, den Nicht-Roma, ist so auch in der Slowakei in den letzten Monaten gespannter geworden. Im Unterschied zur Tschechischen Republik, wo die Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und Roma bereits mehrere Todesopfer forderten, sind zumindest die Bewohner von Vtáckovce nie direkt von Weißen bedroht worden. Doch ebenso wie viele tschechische Städte, die ihr „Romaproblem“ durch Zuzugsbeschränkungen beheben wollen, versucht sich auch die slowakische Tatra-Gemeinde Spišské Podhradi in Abschreckungsmaßnahmen. So beschloß der Gemeinderat ein nächtliches Ausgehverbot für Roma und „andere verdächtige“ Bürger: Dadurch sollte die Kriminalität in der Stadt verringert werden. Und obwohl die slowakische Regierung den Bürgermeister aufforderte, den Erlaß sofort aufzuheben, zeigt sich Spišské Podhradi unnachgiebig. Nun sollen Freiwillige und Gemeinderäte als Hilfspolizisten „Ordnung schaffen“.
Ähnliches kann in Vtáckovce – zumindest vorerst – nicht passieren. Denn das Dorf ist einer der ganz wenigen Gemeinden, denen ein Roma als Bürgermeister vorsteht. Dem 52jährigen Julius Balogh gelang es, die Roma hinter sich zu vereinigen und sie zur Stimmabgabe zu bewegen. 550 Einwohner zählt der Ort, 460 Roma und 90 Weiße. Bei der Wahl zum Gemeinderat sah die Situation dann jedoch schon anders aus. Neun Roma und neun Nicht- Roma stellten sich der Wahl; gewählt wurden acht Nicht-Roma und nur vier Roma.
Julius Balogh: „Zu mir hatten die Roma Vertrauen. Ich war jahrelang Ortsvorsitzender der nationalen Sportorganisation und wir hatten auch eine eigene Fußballmannschaft „Roma Vtáckovce“. Sie wußten eben, wenn ich gewählt werde, dann bin ich für alle, nicht nur für die Roma, da. Ich will die Roma nicht bevorzugen, aber ihnen helfen, wo sie benachteiligt sind.“ Im Dorfe zeigte sich das bisher vor allem an einer gerechteren Vergabe der Bauplätze.
Doch oft fühlt sich Balogh wie Don Quichotte, der gegen die Windmühlen in der Hauptstadt Bratislava kämpft. In der Umgebung von Košice sollen bis zu 80 Prozent der Roma ohne Arbeit sein. „Bei uns im Dorf sind von den 220 Roma im arbeitsfähigen Alter 105 als Arbeitslose registriert. Ohne Beschäftigung sind noch mehr. Bis 1989 waren eigentlich alle beschäftigt. Arbeitslose Slowaken haben wir drei.“ Im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen konnte der Bürgermeister gerade drei Arbeitsplätze für jeweils ein halbes Jahr offerieren.
„Die Teilung der ČSFR machte uns arbeitslos“
Die meisten Männer waren früher im Baugewerbe beschäftigt. Wie Peter Gábor haben viele von ihnen über Jahre hinweg auf Baustellen in der Tschechischen Republik gearbeitet und dabei auch gutes Geld verdient. „Anfang des Jahres, mit der Teilung des Landes, wurden meine Kollegen und ich entlassen. Aber schon letztes Jahr fanden wir immer nur für einige Monate Arbeit. Im Januar mußten wir dann die Tschechische Republik verlassen, finden aber in der Slowakei keine Arbeit mehr. Denn jeder stellt zuerst Weiße ein. Für uns bleibt nichts mehr.“
Ähnlich wie Peter Gábor ging es vielen slowakischen Roma, die unter dem sozialistischen Regime als „Gastarbeiter“ im tschechischen Landesteil arbeiteten. Da sie häufig ihren Wohnsitz in der Slowakei behielten und nur zur Arbeit in die tschechischen Industriestädte pendelten, konnten sie auch keinen Anspruch auf die tschechische Staatsbürgerschaft erheben und mußten, als sie arbeitslos wurden, in die Slowakei zurückkehren. Als einziger Ausweg erscheint vielen so der immer noch als „golden“ geltende Westen. Obwohl sie wissen, daß sie mit ihrer sofortigen Abschiebung aus der Bundesrepublik rechnen müssen, wollen viele Männer aus Vtáckovce ihr Dorf verlassen.
Auch Eva Gáborova, die jahrelang in der Schule geputzt hatte, ist inzwischen ohne Arbeit. Nachdem dem Staat vor einigen Monaten das Geld für die Putzfrauen ausgegangen ist, müssen die Lehrerinnen nun selbst die Schulen putzen.
Im vergangenen Monat hat das Schulamt außerdem entschieden, die Vorschule in Vtáckovce zu schließen, da immer weniger Kinder die Schule besuchen. Eva Gáborova: „Natürlich sind in letzter Zeit weniger Kinder in die Vorschule gegangen. Doch wenn die Kinder dorthin gehen, müssen wir für die Verpflegung zahlen. Aber in den meisten Familien fehlt inzwischen das Geld dafür. Und weil die Frauen arbeitslos und jetzt zu Hause sind, holen sie ihre Kinder auch nach Hause. Die Vorschule ist aber wichtig, weil die Kinder dort gut Slowakisch lernen können, denn zu Hause sprechen wir Romanes und Romanes-Schulen gibt es nicht.“
Und so kann sich Eva Gáborova auch denen nicht anschließen, die den Amtsantritt „ihres“ Bürgermeisters mit großen Hoffnungen verbanden. „Ohne Schulbildung bekommen unsere Kinder keine Arbeit. Wenn sie aber keine Arbeit bekommen, können sie nicht so leben wie die Weißen. Und dann wird es bald wieder heißen: ,Schaut Euch die Zigeuner an, die wollen nicht arbeiten, die stehlen lieber.'“ Bis nach Spišské Pohradi ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
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