: Love is in the air
■ Ein spätgezündeter Nachschlag: Neues vom Laufsteg Love-Parade
Love, love, love. Zum fünften Mal ravte eine schillernde, zuckende Schlange mit Tausenden von wirbelnden Armen, stampfenden Beinen bei einer Geräuschkulisse mit nach oben offener Wattskala den Ku'damm rauf und runter. Es ist wie Sylvester und CSD zusammen und eigentlich ein erstaunlicher Widerspruch: die Love-Parade ist zur heißgeliebten Tradition der schnellebigen trendy Rave-Szene geworden. Love-Parade in Berlin: das ultimativste, internationalste Techno-Street- Happening. Busse aus München und Strasbourg, Flieger aus Miami und Sydney. Love is in the air, Geld im Umlauf, der Bass stampft immer wilder, Glitter-Bodys transpirieren in Ekstase. Techno und Körper, Körpergefühl und Körperpräsentation – es ist kein Wunder, daß die Raver die Shopping-Meile Ku'damm zum Tanzboden machen, auch und gerade weil diese fad und abgestanden wirkt im Vergleich zu den Klamottenkreationen der Lovers. Die Parade glänzt nur um so schriller. Jeder gaffende Ku'damm-Touri ist eine Sonne mehr für die Love-Stars. Aber was trägt Star zu diesem Körperkult- Ereignis?
Wochen vorher: Grübeln und Kopfzerbrechen. Susanne, Verkäuferin in einem Laden am Kaiser-Wilhelm-Platz, beauftragte eine Schneiderin, ihr einen Hotpant-Body aus rotem Lackleder zu schneidern. Der Clou: aufgenähte Herzen. Ein verschärftes Suit, zugegeben. Für 600 Mark; für einen Tag. Das ist Liebe. Zu Susannes Herzen gesellen sich auf der Parade deshalb unendlich viele Herzen. Sie hängen am schönen Busen schöner Frauen, am Hosenschlag oder am Hut. Dazu kommen Sonnen, Blumen (tatsächlich im Haar), auch goldne Sterne ranken sich um das Haupt eines edlen Knaben (mit Flügeln auf dem Rücken entschwebte er offenbar dem Himmel über Berlin).
Überhaupt macht das Beiwerk die Love-Parade aus, erst die Accessoires lassen schwarze Bustiers und Bodys glitzern, sie erst machen die 0815-501-Jeans, die Adidastrikots oder die überdimensionierten Kapuzenshirts jeder Couleur paradefähig. Das fängt oben mit einer eher schlichten Schlumpf- Strickkappe an, die die absolute Avantgarde der Szene kennzeichnet. Weniger Mutige beschränken sich auf den Krempenhut im Streifenlook, die Baseballmütze oder das Piratentuch. Die Sonnenbrille ist quasi notwendig (und geht insofern über den Status des Accessoires hinaus), da echte Raver-Augen an das Natur-Sonnenlicht nicht mehr gewöhnt sind. Multifunktional, wie die Gläser sind, verbergen sie gleichzeitig die Naturschminke unter den Augen (Stichwort: lange Nächte) und – die bewundernden Blicke, die von anderen Lovern magisch angezogen werden. Solche Blicke sind nämlich tabu! Auch auf der Love- Parade gilt: immer cool bleiben, obenrum – dafür ist schließlich die Körpersprache untenrum um so heißer! Aber das ist ein anderes Kapitel. Zurück zum Nacken, den kiloweise Ketten schmücken. Diese allerdings haben den Effekt, daß sie Männern beim Tanz fast den (oft nackten) Brustkorb einschlagen – aber das gehört dazu. (Wie die Frauen das machen, weiß ich nicht, da auf den Selbstversuch verzichtet wurde.)
Apropos: diese Brustkörbe! schweißglänzende Muskeln (wichtiges Accessoire!), ein Tattoo – und einfach NICHTS. Oder ein goldenes Metalljäckchen, dem Inlett einer Ritterrüstung nachempfunden. Welches Auge wäre da nicht ohne Sonnenbrille geblendet? Da, gleich noch mal: Eine Schöne trägt ein solches Glittermetallband saronggleich um die Hüften! Impressionen wirbeln durcheinander, Farben flirren weiß, werden durchscheinend, gelbgold, neonorange (war da nicht der Straßenfeger-Bolero vom letzten Jahr?) und grün – immer mit dabei: Schwarz. Es ist eine endlos rhythmisierte Videomontage aus Plastik und Lack, Netz, Nylon und Haut, die sich, auf Plateau und hohen Hacken tänzelnd, in Turnschuhen, Gummi- und Motorradstiefeln stampfend, auf dem Ku'damm unseren Blicken entwindet. Zurück bleibt ein wippender, weißer Sommerhut, der zu einem Paar feiner Sommerpumps gehört. Dazwischen? Ein schlichtes helles Kostüm, wirbelnde Arme, ein glückseliges Lächeln, wie es nur 75jährige lächeln, und schwingende Hüften. Sie schwingen noch, als der Bass kaum mehr zu vernehmen ist. Das war Liebe auf den ersten Ton. peb
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