Village Voice
: Grausam fein orakelnd

■ Aussis, von Ossis inspiriert: Hugo Race und der spirituelle Durst

Sie werken still, aber stetig: Seitdem Nick Cave auf Berlin verzichten kann und sich nur noch als geheim gastierender Klaus Höhle seines hiesigen Kultstatus versichern muß, haben sich die Angehörigen der Berliner Australienfraktion erstaunlich schnell aus dem Schatten ihres Landsmannes freigespielt. Was nicht heißt, daß alte Kontakte abgerissen wären: Man tauscht Produzenten, Tontechniker und Schlagzeuger aus und widmet sich darüber hinaus weiterhin der großstädtischen Variante des Blues.

Der liege Australiern einfach im Blut, gab der Exil-Melbourner Bruno Adams einmal Auskunft: Auf dem abgelegenen Kontinent sei man – bei so wenig Kultur und so vielen Schafen – ganz einfach melancholisch geworden. Mit Begeisterung stürzte sich sein Quartett Once upon a Time darum nach dem Fall der Mauer auf die Tristesse der östlichen Ruinen.

Auch Hugo Race kann sich deren Faszination nicht entziehen. „Somewhere in Leipzig, a desolate stone city in transit from totalitarism, the expression ,Spiritual Thirst‘ leapt from the streets“, kommentiert er in dem ihm eigenen Pathos sein neues Album. „I look out across the lights of the city and I realise we all know what's going down and that somebody oughta dramatise this madness in song and lyric“.

Dieser selbstbewußte Umgang mit den Klischees wirkt nur deshalb nicht peinlich, weil Race ein in sich schlüssiges Produkt vorgelegt hat. „Spiritual Thirst“, von Race selbst produziert, ist seine vierte Platte – und eine konsequente Fortentwicklung der letzten. „Second Relevator“ (1992) hatte gezeigt, daß „Earl's World“, der Vorgänger von 1991, nur die Abschlußprüfung der Caveschen Schule war, die Race als Mitglied der Bad Seeds besucht hatte. Der „Relevator“ präsentierte dann die Ergebnisse einer Suche nach verläßlichen Werten.

Race spielte auf die Helden seiner Jugend an, auf Roxy Music, Led Zeppelin, vor allem aber auf Bob Dylan, von dessen „It's allright, Ma“ er eine krachige Coverversion lieferte. Ansonsten träumte er sich in die Welt des amerikanischen Films, etwa in dem Opener „The River of No Return“, der um einiges schöner und wehmütiger als das Original aus dem gleichnamigen Western klingt.

Für „Spiritual Thirst“ gibt es ebenfalls Vorbilder. Victor Van Vugt, der auch für Cave gearbeitet hat, mischte die Stücke so kratzig ab, daß sie klingen wie in prädigitalen Zeiten aufgenommen. Dieser kleine Trick tut den einzelnen Elementen nur gut, die Race und seine Band den Stücken von Howlin' Wolf oder Blind Willie Johnson entnommen haben, sie schmeichelt auch der beschworenen Untergangsstimmung ganz ungemein. Doch anders als auf „Second Relevator“ verliert sich der Sänger und Gitarrist diesmal nicht in wohliger Traurigkeit. Hugo Race and the True Spirit werden richtig aggressiv – allenfalls die Stücke „Morning Star“ und „Lightning after Dark“ greifen die alte, quietistische Sehnsucht nach dem Jenseits auf.

„Spiritual Thirst“ eröffnet mit einem atemlosen Gebet um Schlaf, dessen kräftiger Baß jede Ruhe von vornherein unmöglich macht. „Painted Skin“ steigert diese Rastlosigkeit, mit Rhythmen, die an geheime und darum bedrohliche Stammesriten denken lassen. Ein Einverständnis mit übernatürlichen Kräften allerdings gibt es nicht. Das Gospelstück „Baby Doc“ geriet darum eher zu einer prometheischen Forderung als zu einer Bitte um Gehör. Und auch in „No Reunion“ erteilen widerstreitende Posaunen- und Harmonika-Parts falscher Harmonie ein harsche Absage.

Einfach sind die Botschaften trotzdem nicht zu entschlüsseln. Race ist bei seinen hermetischen Metaphern geblieben, die über dem dichten Zusammenspiel der Instrumente für eine ungemütliche Mehrdeutigkeit sorgen. Fast scheint es, als ob die in ihren Einzelheiten nicht nachvollziehbaren Geschichten Weissagungen fürs Leben der Hörer bereithielten. In den psychedelischen Klängen lauern unbekannte Gefahren wie in einem dunklen Orakel.

Das Schlußstück setzt das I-Tüpfelchen: „Devil in my Sons“ läßt „Spiritual Thirst“ mit tremolierenden Bläsern und grausam feinen, kaum zu vernehmenden Geigen so dissonant ausklingen, daß allein Unruhe und Angst im Raum zurückbleiben. Claudia Wahjudi

Spiritual Thirst: Normal (nur CD) Nr. 155