: Von PR zu Umweltpolitik
Nur ein Regierungswechsel bietet in Japan Chancen für die Umsetzung einer umweltschonenden Wirtschaftspolitik/ Teil 6 der Rio-Serie ■ Aus Tokio Georg Blume
Kazuo Aichi, Anfang der neunziger Jahre Umweltminister in Tokio, verstand von Umweltpolitik immerhin soviel, daß sie dem Medienimage nützlich und in seinem nordjapanischen, vom Tourismus abhängigen Wahlkreis sogar ökonomisch von Wert war. Diese Voraussetzungen genügten, um den 56jährigen Aichi zu Japans Mann für Rio zu machen. Aichi gelang es sogar, seinen Fraktionsboß, den ehemaligen Premierminister Noboru Takeshita, für die Reise zur UNO-Umweltkonferenz zu gewinnen. Der 69jährige Takeshita übernahm im Juni 1992 die Leitung der japanischen Delegation in Rio, während Regierungschef Kiichi Miyazawa in Tokio blieb. Für den Umweltpolitiker Aichi aber wurde die Fahrt zum Horrortrip.
Während der zwei Tage langen Beratungen am Zuckerhut sagte Delegationsleiter Takeshita kein einziges Wort, abgesehen von seiner vorbereiteten Rede. Die Augen der Welt ruhten auf Takeshita und Aichi, der die Erwartungen spürte und neben seinem Chef zu einem Häufchen Unglück zerschmolz. Tatsächlich trat Takeshita mit dem Ruf des reichsten Mannes in Rio auf. Gipfel-Generalsekretär Maurice Strong hatte den japanischen Fraktionschef seit Monaten umgarnt, da Takeshita damals noch als bester Geldbeschaffer der in Japan regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) angesehen wurde — was wahrlich etwas heißen mag. Wofür der Mann sein Geld ausgab und wofür nicht, darauf aber hatten die Rio-Organisatoren offenbar nicht geachtet. So gingen sie bei Takeshita leer aus. Doch wieder zu Hause trennte sich Kazuo Aichi aufgrund der durchlebten Peinlichkeiten von seinem Fraktionschef und kandidierte bei den Wahlen am vergangenen Sonntag für die neugegründete „Erneuerungspartei“ (JRP). Die Umweltpolitik war unversehens zur Brechstange für den politisch beherrschenden Generationskonflikt in der LDP geworden. Jahrzehntelang war Umweltpolitik in Japan nur Sache der Bürokraten. Solange administrative Eingriffe ausreichten, um wie in den siebziger Jahren die akutesten Verschmutzungsprobleme zu lösen, fuhr die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Welt damit nicht schlecht. Währenddessen kümmerten sich Japans Politiker um die Bauvorhaben in ihrem Wahlkreis, von deren Größe und Erfolg ihre Wiederwahl abhing. Umweltauflagen konnten dabei nur hinderlich wirken. Zwangsläufig wurde die zunächst im Vergleich zum Westen fortschrittliche Umweltgesetzgebung in den achtziger Jahren Schritt für Schritt gelockert. Rio-Gänger Noboru Takeshita spielte in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle. Nicht umsonst hat sein Wahlkreis Shimane, an einem entlegenem Küstenstreifen des japanischen Meeres gelegen, trotz seiner nur 800.000 Einwohner die meisten öffentlichen Bauaufträge in Japan bekommen.
Doch damit nicht genug Beton: Kaum war Takeshita 1987 zum Regierungschef ernannt worden, als wenig später mit der Umsetzung eines der für Japan wichtigsten Gesetzeswerke der achtziger Jahre, dem sogenannten „Resort-Gesetz“, begonnen wurde. Fast zwanzig Prozent der gesamten Landfläche Japans sollten nach Takeshitas Plänen in Golfplätze, Skihänge und ähnliche Freizeitanlagen verwandelt werden. Dahinter stand die in den Jahren des Börsenbooms verlockende Vision eines gigantischen, chemisch bereinigten Disneylands Nippon, welches dem Land schnell den Vorwurf einbrachte, die eigene Natur im Zuge der Industrieumsiedlung nach Südostasien auf Kosten anderer schützen zu wollen. Falsch daran war nur, daß von mehr Naturschutz bei der Resort-Entwicklung innerhalb Japans nie die Rede war.
Die Umkehr kam erst mit dem Ende des Booms: Takeshita stürzte über Insidergeschäfte an der Börse, deren sturzflugartige Kursverfälle schließlich auch die tollkühnen Freizeitträume zerstörten. Plötzlich hatte Umweltpolitik wieder eine Chance. In diesem Sinne bekam der Rio-Gipfel samt dem einhergehenden Öffentlichkeitsinteresse eine Katalysatorfunktion: Er zwang Japans alte politische Garde, ihre zuvor gänzlich obstruktive Haltung in der Umweltpolitik aufzugeben.
Gleichzeitig kamen immer mehr Korruptionsgeschäfte ans Licht, besonders im umweltrelevanten Baugewerbe. Zwei der wichtigsten Umweltprobleme sind unmittelbar mit dem Bausektor verknüpft: Dort werden in Form von Schalholz annäherend 80 Prozent des nach Japan importierten Tropenholzes verbraucht, d.h. rund ein Viertel des weltweiten Konsums der wertvollen Hölzer. Außerdem geht derzeit mehr als die Hälfte von der Steigerungsrate des japanischen Energieverbrauchs auf Kosten der privaten Haushalte, die sich in den achtziger Jahren mit immer mehr energieintensiven Klimaanlagen ausrüsteten. Nur die Bauindustrie könnte hier mit Isolierungsmaßnahmen den Energieverbrauch langfristig senken. Doch gerade sie schien durch den Schutz der LDP jeder ökologischen Vernunft entsagen zu können.
Bauunternehmen denken schon um
Die Bauunternehmen selbst haben das Ende ihrer Klientelwirtschaft mit der LDP freilich vorausgesehen. Shimizu Kensetsu, mit einem Jahresumsatz von über 30 Milliarden Mark der größte Baukonzern Japans, verabschiedet bereits im Oktober 1991 eine betriebsinterne Umwelt-Charta. Die sah zunächst vor, alle Daten im Betrieb über C0 2-Verbrauch, Müllproduktion und Tropenholzverwendung zusammenzutragen. Die Ergebnisse der Erhebungen wurden der Öffentlichkeit dann im Frühjahr gemeinsam mit einem Aktionsplan zur Wiederverwertung von Schalholz u.a. vorgelegt. Eine Beurteilung der tatsächlichen Maßnahmen im Shimizu-Konzern steht deshalb noch aus.
Inwieweit die japanischen Unternehmen offensiv mit der in Rio vorgegebenen Losung einer „umweltschonenden“ Wirtschaftsweise umgehen, hängt dabei stark von der politischen Entwicklung in Japan ab. Erst die Auflösung der mafia-ähnlichen Beziehungen zwischen Regierungspolitikern und Großindustrie könnte eine wirksamere Umweltpolitik ermöglichen. Das gilt gerade für umweltpolitische Maßnahmen im Rahmen der japanischen Entwicklungshilfe, deren Gelder bislang in großem Maße in die Hände wohlgesonnener japanischer Konzerne floß.
Japans umweltpolitische Hoffnungen aber ruhen damit erneut auf dem Mann von Rio: Nach einem Regierungswechsel, der gestern immer wahrscheinlicher wurde, wäre Kazuo Aichi wohl wieder Umweltminister.
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