: Weiblich und positiv
■ Für Frauen mit HIV und Aids gibt es kaum Anbebote / Sieben Prozent der Kranken, 16 Prozent der Infizierten sind weiblich
Als sie von ihrem positiven HIV-Testergebnis erfuhr, wollte Gabriela* sich sofort umbringen. Auf der Autobahn hielt sie an und rannte los. Wäre ihr Freund nicht Sportler gewesen, er hätte sie nie eingeholt, glaubt sie. Das war 1985. „In den nächsten Jahren war mir meine Sucht wichtiger als die Krankheit“, sagt sie. „Ich hatte das Gefühl, das Leben schuldet mir etwas.“ Selbst als sie Hautprobleme, Gliederschmerzen und Pilze bekam, wußte sie, nach zwei Flaschen Tequila und drei Gramm Koks würde sie nichts mehr davon merken. Seit zwei Jahren ist sie clean. „Offiziell habe ich sicher schon das Aids-Vollbild“, sagt sie. Sie werde an dem Virus aber nicht sterben. Die Krankheit habe sie sich damals ausgesucht, wie andere Krebs oder Mulitple Sklerose. „Man erhält damit viel Beachtung und Mitleid.“
Stefanie* wurde vor sieben Jahren ohne ihr Wissen von ihrem Hausarzt getestet. Sie habe noch zwei Jahre, eröffnete er ihr. Drei Tage ging sie nicht aus dem Haus. „Aber dann hab ich gedacht: ich hab die Therapie gemacht, ich hab um mein Kind gekämpft, ich gebe jetzt nicht auf.“ Heute ist sie verheiratet und arbeitet als Fremdsprachensekretärin. Vielleicht werde ja doch noch rechtzeitig ein Medikament gegen die Immunschwächekrankheit erfunden, hofft sie. Damit versuchte sie auch ihre zwölfjährige Tochter zu trösten, als diese sie nach zwei durchweinten Nächten fragte, wie lange sie noch zu leben hätte. „Ich habe ihr gesagt, daß ich das auch nicht weiß und daß wir die Zeit nutzen sollten, die ich noch da bin.“
Von den Ende Juni 1993 gemeldeten 2.063 Aids-Fällen sind 139 Frauen, das sind knapp sieben Prozent. Mindestens 63 sind bereits gestorben. Ihr Anteil an den Infizierten liegt seit etwa fünf Jahren konstant zwischen 16 bis 17 Prozent. Über die Hälfte hat sich über intravenösen Drogengebrauch infiziert, zehn Prozent über Bluttransfusionen und ein Viertel über heterosexuelle Kontakte, Tendenz steigend. „Die meisten infizieren sich bei Partnern aus einer der klassischen Risikogruppen, also drogenabhängige oder bisexuelle Männer“, sagt Osamah Hamouda vom Bundesgesundheitsamt.
Barbara Wieler von der Lesbenberatung kennt allein fünf Frauen, die durch lesbischen Sex infiziert wurden. Frauen würden durch die Aufklärungskampagnen nicht angesprochen. „Weibliche Sexualität wird in der Öffentlichkeit nur auf den Mann bezogen diskutiert, Frauen sind nie Subjekte. In der Aufklärung geht es immer um den Schwanz,“ sagt sie. Safer Sex unter Lesben, etwa mit Handschuhen oder mit Latextüchlein bei oralem Sex, sei kaum verbreitet.
Weiblich und positiv – größer ist der gemeinsame Nenner nicht, und entsprechend schwierig ist die Situation in Gesprächs- oder Selbsthilfegruppen. Zwischen Ex-Userinnen und Junkies tun sich Abgründe auf, die die 72jährige Ehefrau eines Bluters ebensowenig verstehen kann wie die Feinmechanikerin, die sich bei einem Urlaubsflirt auf Mallorca infiziert hat oder die 50jährige, die zum ersten Mal mit der Bisexualität ihres Mannes konfrontiert wurde.
Während homosexuelle Männer auf die Schwulen-Infrastruktur zurückgreifen können, Junkies immerhin ihre Drogenberatungen haben, gibt es für heterosexuelle infizierte Frauen und ehemalige Drogengebraucherinnen kaum Anlaufstellen. Die Aids-Hilfen, gegründet als schwule Selbsthilfeorganisationen, fangen erst langsam an, sich auch für Fraueninteressen zu öffnen. Erika Parsa, Frauenbeauftragte der Berliner Aids- Hilfe, organisiert Gesprächskreise, Tanz- und Atemtherapiegruppen und ein Frauenplenum, das politische Forderungen erarbeitet.
Auch in der medizinischen Forschung zu HIV und Aids sind Frauen unterrepräsentiert. Der Gebärmutterhalskrebs steht bislang als einzige frauenspezifische Krankheit auf dem Index Aids-definierender Krankheiten. Kaum ein Gynäkologe kennt sich mit Krankheitsverlauf und Risiken aus. „Dabei ist der normale Zeitpunkt im Leben einer Frau, an dem sie einen HIV-Antikörpertest macht, die Schwangerschaft“, sagt Urte Bell, Ärztin in der gynäkologischen Ambulanz der Frauen- und Poliklinik Charlottenburg, in der Frauen mit HIV und Aids untersucht und behandelt werden. Ist der Test dann wider Erwarten positiv, ist der Frauenarzt mit einer angemessenen Beratung meist überfordert. Meist rät er zu einer Abtreibung, obwohl der Anteil der während Schwangerschaft und Geburt infizierten Kinder in Europa bei 15 Prozent liegt. Warum welche Kinder infiziert werden, sei bislang nicht erforscht, sagt Bell. Kaiserschnitt jedenfalls verringere das Risiko nicht. Corinna Raupach
*Namen von der Red. geändert.
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