: In der Mitte plaziert
■ Sommertheater: Gespräch mit Guillermo Gomez-Pena und Coco Fusco über ihr Stück „New World (B)order“
taz: Was umfaßt für Sie der Begriff „Border Art“, den Sie für Ihre Arbeit definiert haben?
Guillermo Gomez-Pena: Eines der größten Probleme, die ich im Verhältnis zwischen Süd- und Nordamerika sehe, ist, daß diese Beziehung geprägt ist von kulturellen Mißverständnissen. Das ist eines der Gebiete meiner Arbeit: Zu zeigen, wie kulturelle Mißverständisse zur Gefahr werden und ernsthafte Konflikte heraufbeschwören. Außerdem experimentiere ich mit der Rolle des Künstlers. Der Künstler ist jetzt aufgefordert, seine Rolle in der Gesellschaft neu zu definieren: als sozialer Denker, kultureller Diplomat, Medien-Pirat, als Grenzgänger, als Ideen-Schmuggler, als utopischer Kartograf. Außerdem versuche ich eine alternative, nicht-lineare Chronik der Zukunft Amerikas zu schreiben und in dem Stück geht es sehr viel um diese Chronik. Das umschreibt ungefähr „Border Art“.
taz: Sie mixen verschiedene Kulturen, Sprachen, sie kreieren viele Neologismen und entwickeln neue Bilder. Halten Sie diese Vermischung für eine brauchbares Konzept gegen Nationalismus oder wäre es nicht vielfach besser, kulturelle Zeichen zu trennen, weil die Vermischung ja doch zu einem erheblichen Verlust kultureller Identität führt?
Coco Fusco: Ich glaube es gibt in Europa ein Problem, zu verstehen, was Identität für die Menschen in Amerika bedeutet, weil die Europäer ihre Identität vielmehr als Verwurzelung verstehen. Die Akzeptanz eines „Third Term“ ist in Europa sehr schwierig. Wir aber haben eine viel längere Geschichte der Vermischung und der Entwicklung einer Third-Term-Culture. Wenn man unter diesem Stichwort auf unsere Arbeit sieht, kann man natürlich sagen, daß wir unsere Identität zerstören, aber ebenso versuchen wir, die beherrschende Kultur zu zerstören, um dadurch herauszuarbeiten, was wirkliche Identität bedeutet.
GGP: Bei der Mischung von Kulturen entsteht nicht zwangsläufig ein Widerspruch zwischen einer alten und neuen Identität, es entsteht eine Form der gemeinsamen Identität. Und ich glaube, daß Identität nur durch den Kontakt mit anderen verstärkt und gefestigt werden kann. In diesem Sinn arbeitet unser Projekt.
taz: Glauben Sie nicht, daß die Diskussion über Identität, die Sie anstiften wollen, nur die Angelegenheit einer kleinen intellektuellen Gruppe ist?
GGP: Ich würde sagen, es ist genau das Gegenteil. Popkultur beschäftigt sich schon viel, viel länger mit diesen Problemen als Intellektuelle und Akademiker. All die bizarren Vermischungen und Kombinationen, die Veränderungen in der Wahrnehmung von und im Umgang mit unterschiedlicher Identität, über die wir in unserem Stück sprechen, all das findet man schon lange in der amerikanischen Popkultur. Natürlich ist das auch eine Reaktion auf das Phänomen, daß die amerikanische Gesellschaft sich selbst flieht. All die ethnischen Zwischenstufen haben dazu geführt, daß viele Amerikaner damit beginnen, sich auf ihre angeblichen europäischen Wurzeln zu besinnen, weil ihr Gefühl für die amerikanische Nation verloren geht. Das ist ein Ausdruck von Angst. Keiner weiß, wie dieses Jahrhundert für die USA enden mag. Vielleicht ist das das Hauptdilemma, mit dem Amerika im Moment kämpft.
taz: Wie verarbeiten sie diese Gedanken in ihrer Performance.
GGP: Ich sehe mich selbst als eine Art experimenteller Journalist oder experimenteller Anthropologe. Ich forsche in der Gesellschaft nach Spuren, Fakten, Emblemen, Zeichen mit denen ich die Geschichte Amerikas reorganisieren kann. Dabei ist das Jahr 1992 von entscheidender Bedeutung für diesen Prozeß, denn im Verlauf der Reflexion über die 500 Jahre Geschichte seit Columbus haben viele afro-amerikanische, asiatische, lateinamerikanische Künstler in den USA damit begonnen, den Tisch der Geschichtsschreibung einmal um 360 Grad zu drehen, sich selbst vom äußersten Rand in die Mitte zu plazieren und von dort über die offizielle Kulturschreibung zu reflektieren. Diese Art umgekehrter Anthropologie gehört zu den Strategien, die wir verwenden.
taz: Worum geht es konkret in „New World (B)order“?
GGP: Es ist eine Art begriffs-verkehrender Science Fiction, in dem die farbigen Menschen Nordamerika dominieren und die weißen Amerikaner in den Süden ziehen, um dort zu arbeiten. Spanglish ist die offizielle Landessprache und kulturelle Phänomene sind in einer ständig Verwandlung und Umkehrung begriffen.
taz: Wie arbeiten Sie?
GGP: Sehr prozeßorientiert, sehr roh, sehr unmittelbar und das Stück verändert sich ständig. Wir arbeiten in vielfältigen Zusammenhängen, denn eine der Charakteristika der „Border Art“ ist es, daß sie an vielen verschiedenen Orten und Zusammenhängen wirken muß. Wir bearbeiten „The New World (B)order“ sowohl für das Radio, wie für das öffentliche Fernsehen oder das Theater. Es ist eine bizarre Mischung aus Performance-Poetry, Live-Radio, Ritual-Performance-Art undsoweiter. Das gibt uns eine enorme Mobilität sowohl zwischen verschiedenen kulturellen Gemeinden wie zwischen verschiedenen Gernes. Damit können wir die Arbeit in beinahe jedem Kontext zeigen. Das reagiert darauf, daß in den USA nicht differenziert wird zwischen einer Kultur des Hypes und einer Kultur des Dialogs. Wenn eine Künstler in den USA berühmt wird, muß er hart kämpfen, um sich selbst vom Gebiet des Hypes zurück auf das Gebiet der Ideen zu bringen. Deswegen versuchen wir mehr in die Nischen der Öffentlichkeit zu kommen, wo Ideen akzeptiert sind und man keine großen Kompromisse eingehen muß.
taz: Glauben Sie daran, daß Amerika jemals ein Land der Freiheit und Gleichheit sein wird?
GGP: Ja, aber ich denke es dauert noch sehr lange. Amerika wird einfach begreifen müssen, daß der einzige Weg, seine enorme Krise zu überwinden, ist, daß die unterschiedlichen Kulturen zusammenarbeiten müssen. Wenn die Gesellschaft nicht sorgfältig auf seine Gemeinden hört, dann wird es in tiefer Scheiße versinken.
Fragen: Till Briegleb
Bis Donnerstag, 19.30 Uhr
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