■ Neu im Kino: "Othello" von Orson Welles
: Die Sprachgewalt der Bilder

Neu im Kino: „Othello“ von Orson Welles

Die Sprachgewalt der Bilder

Sie gehören zur Legende, die sich um Orson Welles rangt: die vielen verschollenen, verschnittenen oder unvollendeten Filme mit ihren abenteuerlichen Entstehungsgeschichten, den in Lagerhäusern entdeckten Filmrollen und genialen Einstellungen, über die viel geschrieben wurde, die aber kaum einer gesehen hat. „Othello“ war fast vierzig Jahre lang solch ein mysteriöses Werk, das bald nachdem es 1952 in Cannes als bester Film prämiert wurde, in der Versenkung verschwand.

Vier Jahre lang hatte Welles gekämpft, um den Film beenden zu können: in ewigen Geldnöten, mit vielen Komplikationen und Verzögerungen. Er finanzierte ihn mit seiner Arbeit als Schauspieler, etwa im „Dritten Mann“. Bei der Arbeit zu Henry Hathaways „Die schwarze Rose“ versuchte Welles sogar, nachts die Ausrüstung zu stehlen, um damit Szenen für „Othello“ zu drehen.

Und es gelang ihm, gerade aus den vielen Beschränkungen Kapital zu schlagen: Weil er keine Kostüme zur Verfügung hatte, drehte er das Attentat auf Cassio und den Mord an Rodrigo im türkischen Bad. Oft waren die einzelnen Aufnahmen einer Szene an verschiedenen Drehorten, mit wechselnden Schauspielern und im Abstand von mehreren Jahren gedreht worden, aber mit meisterhafter Montagetechnik verschmolz Welles all die Schnipsel und die gewitzten Einstellungen der Kamera zu seiner kongenialen, ganz persönlichen Vision des Shakespearedramas.

Im Gegensatz zur Fassung von Laurence Olivier aus dem Jahre 1965 ist Welles „Othello“ alles andere als verfilmtes Theater. Der Rhythmus der Montage, das Licht, die Stimmungen der Drehorte verstärken und kommentieren Shakespeares theatergebundene Genialität. „Ufer und Paläste, Vögel und Passanten, Wellen und Wälle haben Teil an diesem geheimen Überschwang. Alles verläuft, als ob Welles das Shakespearesche Universum zergliedert und daraus nur Raum und Zeit beibehalten hätte“, schrieb dazu der Kritiker Maurice Bessy.

Gleich in der ersten Szene zeigt uns Welles mit ganz und gar filmischen Mitteln, wie die drei Hauptfiguren enden werden: Zwischen kargen, gewaltigen Mauern trägt ein Leichenzug Othello (Welles) und Desdemona (Suzanne Cloutier) zu Grabe. Die Kamera steigt höher und ihr Blick entpuppt sich als der des Intriganten Jago (Michael MacLiammoir), der in einem Käfig am Burgturm hochgezogen wird. Vom Urheber des Unheils kehrt der Film dann zurück an den Beginn der Tragödie.

Mit der Kamera erzählt Welles genauso poetisch wie mit den im schönsten Englisch vorgetragenen Texten (zum Glück wurde die mit viel Aufwand restaurierte Fassung nicht synchronisiert, sondern nur deutsch untertitelt.) Wir hören und sehen: Die Beredtheit der Filmbilder ist der Bilderpracht der Sprache ebenbürtig.

PS: Im Atlantis sieht man allerdings nur etwa vier Fünftel des Meisterwerks, da die richtige Linse für den Projektor fehlt. Das macht die Figuren am oberen Rand der Leinwand manchmal einfach einen Kopf kürzer. Wilfried Hippen

Atlantis 18.00, 20.30 Uhr