: Wenn der Hymen und die Leiste reißen
Bodo, faß! Der „Spiegel“ und der Suhrkamp Verlag schicken Romancier Kirchhoff als Vorkriegsberichterstatter nach Somalia. Der Herr der Fliegen telefoniert nach Hause und schreibt „die erste Feldpost seines Lebens“ ■ Elke Schmitter las sie
Mit den Deutschen ist das so: sie rasten und sie ruhen nicht, bis „der Versuch des Reinwachsens in Mitverantwortung in der Welt“ (Außenminister Kinkel) gelungen ist. Verantwortung tut gut. Wenn man aber Gutes tut, so soll auch darüber geschrieben werden, und wer könnte das besser als ein echter Autor? So haben sich also der „Spiegel“ und der Frankfurter Suhrkamp Verlag entschlossen, Bodo Kirchhoff, den „Weltreisenden unter den deutschen Romanciers“ in die Wüste zu schicken: „Als Begleiter des Bundeswehr- Voraustrupps reiste er nach Somalia, um dort Anregungen für einen neuen Roman zu holen. Er schrieb ein Tagebuch, aus dem der SPIEGEL Auszüge druckt...“
„Anregungen für einen neuen Roman“ – was mag da für Bodo erhofft worden sein, dort im tiefsten Ostafrika, wo Weißwein und Weißwäsche knapp, Not und Fliegen dem Vernehmen nach aber bis zum Überdrusse anwesend sind? Was mag unseren Bodo, der mit dem Kriegshelden Hemingway allein den kurzen Bart und allenfalls die Vorliebe für Banalitäten und Brustwarzenbeschreibungen mit dem Tagebuch- und Kriegshelden a.D. Jünger, ERnst, gemeinsam hat1, dorthin getrieben haben? Kirchhoff hat sich nämlich in seinem umfangreichen Lebenswerk mit männlicher Stetigkeit in „den innersten Raum der Gegenwart“ („FAZ“) vorgearbeitet, vom Äußersten, der Einsamkeit der Haut zwischen Dame und Schwein, unterbrochen von den Ewigen Sekunden der Lust, über die Fernen Frauen bis hin zu Infanta, wo durch die Schweißtücher geschwitzt wird, was anderen durch die Rippen dringt: immer tiefer hinein ins Vergnügen, was für den deutschen Mann, wir ahnen es, das hinter den sieben Hymen gelegene ist. Weil aber den Deutschen die Weltläufigkeit noch immer selten eignet, taugt der UnFrieden in der Hose literarisch am meisten in der Ferne: Schon immer „wählt Kirchhoff mit Vorliebe exotische Schauplätze, die er zuvor erkundet“.
Weltbürger, Weltreisender Bodo, was also vermag er uns mitzuteilen? Erster Eindruck: Absurdität. Bodos größte Sorge dort unten ist, nicht lächerlich zu wirken: wie macht man das als deutscher Mann und Autor, den Tropenhut auf der hohen Stirn und das Herz in der Hose? Man denkt, man schaut und macht sich nützlich.
Wir fangen mit dem Denken an: Gedanke: (Achtung! Stillgestanden!) Dieser humanitäre Einsatz wird unterstützt von Pepsi Cola. Zweitens: Denke: Besser von außen als von innen überwältigt werden. (Arbeitshypothese?) Aber nein: wer redet hier von Arbeit, wer von Thesen, und dann gar Hypo? Denken wir lieber fort, lassen wir's in uns denken und dann auch aus uns heraus: das Mädchen mit Splitterwunden am ganzen Körper wimmert leise, die Kameras laufen. Leiden als Seinsform, wie bei uns Zufriedenheit. Dann ist's ja gut. So ist der Neger, so ist die Frau. Gelitten muß werden, ewig singen die Wälder, und leise wimmern die Mädchen: wahrscheinlich bleibende Erinnerung. Hören wir mit dem Denken lieber auf. Widmen wir uns der Beschreibung, denn dafür ist Erzähler Kirchhoff ja auch da: Erste Sätze zu der Stadt: Sie quillt über von Menschen, von Farben. Dausend, wie's bei Thomas Mann schon heißt: das ist beobachtet, das ist überraschend, das ist präzise. Das ist ziemlich genau das, was jeder Spiegelredakteur an seinem Schreibtisch auch geschrieben hätte, über Belet Huen, Rio de Janeiro oder Istanbul, egal: denn überall, wo nicht Bielefeld ist, und vor allem da, wo der Neger ist, quillt die Stadt über von Menschen, von Farben. Da hat er schon recht, der Erzähler Kirchhoff, der, nur geschützt durch eine Creme, Faktor 20, beglückt durch die Straßen streift, weil nichts von dem, was ich sehe, für meine Augen bestimmt ist... Ach, wäre er doch dabei geblieben! Aber es muß ja doch, in einem fort, beschrieben werden, sonst wäre man ja sinnlos da: Da hält ein Pritschenwagen mit sechs Männern; fünf haben eine Sonnenbrille, einer hat keine, das fällt mir auf. Und schon notiert, flugs ans Fax, und nächste Woche steht's im „Spiegel“: fünf haben eine Sonnenbrille, einer hat keine, das fällt mir auf. Ich verschwinde im Auto, schließe die Fenster (die Spannung steigt – ); ich setze die Brille ab (ja! ja! – –, und:) 20, 30 Fliegen sind mit mir eingeschlossen.
Och, Bodo, das ist aber nicht fair: waren's nun 20 oder 30? Bist als Filersof da unten, samt Sorge um sich à la Foucault & freie Liebe, wie's der „Spiegel“ sich denkt, oder als Vorkriegsreporter? Einfälle dazu, stichwortartig: Humanität und Selektion, guter Wille und Sachzwang, Angst und Perfektionismus; schon wieder eine mit den Deutschen verknüpfte Tragödie. Dies Verknüpfen ist schön gesagt und knüpft haarfein an den roten Faden, um den die Einfälle gewunden sind: ein Mädchen, dem man die Scheide zugenäht habe... Ja, man kommt als Reporter nicht überall rein, wir müssen leider draußen bleiben, aber die Vogelperspektive gibt so manchen Trost: Dienstag, 22. Juni, vormittags. Tiefflug im Helicopter über die Umgebung; nur Lieben ist schöner... Ach, nur Lieben oder Bodo lesen, am liebsten Bodo als Literaturkritiker lesen, aufschlußreich und doch ganz knapp, reportermäßig: Montag, 28. Juni. Vormittags Lektüre (Miloš Crnjanski, Tagebuch über Čarnojević: einzigartig); später dann die Ambulanz. Später dann die Ambulanz... wer da wohl liegt und die Beine spreizt? Wir ahnen es, es ist das Mädchen, dem man die Scheide zugenäht hat. Schade eigentlich. Aber man kann ja anderen näher kommen: so dieser Lehrerin, mit der man für den Fotografen spricht, die Kinder im Halbkreis mitgruppiert (um den deutschen Mann Kirchhoff, der sitzt und so weltreisenmäßig schaut) und im Casinoton notiert: Verspreche wiederzukommen, verspreche, mich im Lager umzuhören nach Arbeit; verspreche zuviel... Denn ausrichten kann er dann doch nichts, dieser Deutsche Humandenker inmitten einer anderen Gattung Mensch, hat ja auch anderes zu tun: 14 Uhr. Will nach Deutschland telefonieren (Spannungsbogen steigt), aber die Leitung ist blockiert (Spannungsbogen wieder auf Wüstensandhöhe). Zwischen zwei Zigarre paffenden, offenbar unangreifbaren High-Tech-Gefreiten, die „FAZ“, ihren Bericht durchgebend. Subjekt, Prädikat, Objekt, Punkt. Ja, wenn man das könnte... Aber so heißt es doch wieder: Füge allen Briefen etwas Staub bei, als reiche die Sprache nicht. Aber wenn man nicht schreiben kann, so kann man doch immerhin assoziieren, filersofieren, antworten und fragen: Die Gefahr heißt Humanität auf Biegen und Brechen, sie heißt Humanitismus, eine neue Art Kreuzzug, Herrenmenschlichkeit im großen Stil – wollen wir das? Nein, das will auch der Frankfurter Kirchhoff nicht, der ja nur mal so mitgefahren ist an diesen exotischen Schauplatz, ohne recht eigentlich zu wissen, was er da machen will außer einer guten Figur. Immerhin mit einer Ahnung auch für uns ist er zurückgekommen: Der erste tote Deutsche, unser Toter, geht in die Geschichte ein wie Armstrong, der den Mond entjungferte; das Reißen unseres Nachkriegshymens wird uns nicht erspart bleiben... Kichhoff ist einstweilen nur etwas in der Leiste gerissen, obwohl doch Frieden in der Hose war im Vorkriegsgebiet. Er hat eben, wie fast alle Menschen irgendwie und überall, Glück und Pech gehabt: Viele kotzen, andere fliehen in den Schlaf; ich kritzele. So wird das Weltenende sein: Viele kotzen, andere fliehen in den Schlaf, und Bodo kritzelt. Und das Ganze als Haiku..
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen