: Die Strafe Gottes Von Andrea Böhm
O.K., es ist die Nachricht von gestern, aber falls es noch jemanden interessiert: Der Mississippi ist immer noch da, wo er nicht hingehört — auf über 60.000 Quadratkilometern zumeist wertvollen Ackerlandes. Die Menschen schütten immer noch Sand auf Dämme, die irgendwann brechen; die Regenwolken haben sich in weiten Teilen des Flutgebietes immer noch nicht verzogen.
Von allen weltlichen Mächten verlassen, stürzen sich die Opfer des Mississippi und ihre Landsleute in die theologische Ursachenforschung. Meteorologen mögen ja immer noch behaupten, ein Warmwasserstrom namens „El Nino“ sei schuld an Flutwellen im Mittelwesten der USA und an Hitzewellen an der Ostküste. Unsinn: Jeder fünfte Amerikaner ist mittlerweile laut Gallup-Umfrage davon überzeugt, daß die Flut „Gottes gerechte Strafe für den sündigen Lebenswandel“ des Volkes ist. Sünde? In „God's own country“?
Es geht, genau gesagt, um das Laster des Glückspiels. Anrainerstaaten des Mississippi wie Iowa oder Illinois haben Poker, Blackjack und Roulette zwar nicht auf ihrem puritanisch durchtränkten Land legalisiert, wohl aber auf dem Fluß selbst. Dieser Frevel, abgesegnet von den Volksvertretern mit unbiblisch gierigem Auge auf Steuereinnahmen und goutiert vom Wahl-, Kirchen- und Spielvolk, ist nach Ansicht zahlreicher Anrufer in lokalen Radioshows im Mittelwesten der böse Tropfen, der den Fluß zum Überlaufen gebracht hat. Wobei sich arme (oder reiche) Sünder, Croupiers und einarmige Banditen nicht etwa schwimmend auf dem Mississippi begegnen, sondern auf luxuriös ausgestatteten Flußdampfern bei einem Glas Whiskey, Bier oder Martini miteinander ins Geschäft kommen.
Apropos Geschäft: 1992 haben die Amerikaner — auf dem Mississippi, in Las Vegas, Atlantic City und an anderen auserwählten Orten — rund 300 Milliarden Dollar legal und mindestens 40 Milliarden Dollar illegal verspielt und verwettet. Nun gewinnen manche einiges zurück. Summa summarum blieben in den Kassen der Kasinobetreiber nach Abzug der Kosten für Personal und Instandhaltung der Spielhöllen 35 Milliarden Dollar an Profit zurück. Um diese Kassen zu füllen, bedarf es einer nicht unerheblichen Mobilität der Amerikaner.
Dem vergleichsweise unverfänglichen Lotteriespiel kann man zwar legal in 36 Bundesstaaten frönen, wer aber legal ins Casino will, hat nur fünf Bundesstaaten zur Auswahl und muß also die Pauschaltour nach Las Vegas, Atlantic City oder eben auf den Mississippi zum „Riverboat Gambling“ buchen. Wem dieser Aufwand für eine Runde Poker zu groß ist, darf hoffen: Auf die Video-Industrie und die Ureinwohner. Immer mehr Stammesverwaltungen aus den Reservaten stellen fest, daß ihnen Gesetzeslücken die Etablierung von Casinos und Bingohallen auf ihrem Territorium erleichtern — und sie ausnahmsweise den Weißen das Geld aus der Tasche ziehen dürfen. Wer sein Geld am liebsten verliert, während der Hintern ahnungslos auf der eigenen Couchgarnitur ruht, der schalte den Fernseher an. Video-Poker und interaktives Black-Jack verführen zur Spielsucht in den eigenen vier Wänden. Und da wird der Herrgott schon nicht hinschauen.
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