Renitentes Monsterreich

Diesseits von Gut und Böse: The Best of Tex Avery 1942–1952 – Elf Zeichentrickfilme  ■ Von Harald Fricke

Zum Glück sind die menschlichen Triebe einfach gebaut und lassen sich entsprechend schnell in Bildern abführen. Drei aufeinanderfolgende Witzbildchen reichen aus, damit sich all das entladen kann, was an unbewußten Irrungen und Wirrungen mit der Zeit angestaut wurde. In einem frühen Zeichentrickfilm von Tex Avery bekommt der Wolf Stielaugen beim Anblick des als Starlett herausgeputzten Rotkäppchens und sein Körper versteift sich wie ein von unsichtbarem Flitzbogen gespannter Liebes-Pfeil – auch wenn dieses aufbäumende Begehren nur von kurzer Dauer ist: Am Ende fährt der Hammer auf seinem Kopf nieder und hinterläßt faustgroße Löcher. Deshalb ist es eigentlich ziemlich konsequent, daß irgendwann Splatterfilme aus den Bilderwitzen wurden. Wenn Abel Ferrara seinen drillernden Serienmörder Menschen an die gekachelte Badezimmerwand tackern läßt, dann hat er dieses Spiel einige Dutzend Mal bei Bugs Bunny und Elmer Fudd gesehen, als er ein Junge war.

Die Ähnlichkeiten in der brachialen Psychologie von Killer und Karnickel sind dabei gar nicht mal verblüffend. 1943 waren Tex Avery und seine flinken Cartoonwesen mit der Zensurbehörde bereits ebenso in Schwierigkeiten geraten wie 30 Jahre später der trashgeschulte Ferrara mit dem Leichenschmaus, den sein „Drillerkiller“ hinterließ. Bei Avery wurde jedoch nicht gegen die gewaltverherrlichende Darstellung von zersiebten Katzen und abgesprengten Entenschädeln eingeschritten, sondern weil er besonders explizit die Grenzen der Sexualität zwischen Mensch und Tier verwischt hatte. Seine Fassung vom Rotkäppchen mit dem Wolf wurde der Sodomie bezichtigt, zum Artenschutz verordneten die Zensoren zumindest eine eindeutige räumliche Trennung der beiden Strip-Figuren. Nur im Interesse der Truppenmoral sah man von einer weiteren Züchtigung ab: Für die Version, die der US-Army an die Front geschickt wurde, durfte der Wolf weiterhin seinen Pelz an der jungen Frau reiben, und auch Adolf Hitler konnte 1942 zu Propagandazwecken in einen „Blitz Wolf“ verwandelt werden, der es von den drei kleinen Schweinchen unter dem star spangled banner mächtig aus einem gewaltigen Kanonenrohr besorgt bekam.

Offensichtlich bilden aber Averys Zeichentrickgeschöpfe, Eggheads, Enten oder Hasen wie bei Lewis Carroll im Wunderland gar keine Menschen ab, sondern dienen als Projektionsfläche für Primärbedürfnisse: Gier, Zerstörungswille, Geilheit oder Rachsucht. Aus diesem Grund standen die aus der Reihe geratenen Trieb- Mutanten von Anfang an im Gegensatz zu den verniedlichenden Identifikationfiguren aus dem Hause Walt Disney. Wo bei Disney putzige Eichhörnchen und singende Mäuse in einem bunten Märchenwald umherspringen, läßt Avery volltrunkene Löwen und depressive Hunde durchs Bild kriechen; statt positiver Gedanken, technischer Perfektion und einem glanzvollen Happy-End gibt es schmuddeligen Sarkasmus bis zum explosiven Finale. Dabei war das renitente Monsterreich aus einer simplen Not entstanden, als Disney die gesamten Zeichen- Teams von Warner Bros. abgeworben hatte: Weil niemand Walt Disney an Popularität schlagen konnte, setzte Avery ganz einfach auf die Umkehrfunktion seiner Bilder. Im Schatten der friedvollen Welt der Mickey Mouse wurde die Trennung von Gut und Böse zurück in ihre inneren Widersprüche aufgelöst. Hunde, Katzen und Vögel schlugen solange aufeinander ein, bis die letzten Unterschiede verschwommen waren, selbst der Blitz Wolf blieb ein zwiegespaltenes Wesen. Wenn das irre Eichhörnchen in „Screwball Squirrel“ (1944) ein besonders liebliches Blaupelzchen erledigt, entschuldigt es sein Vorgehen mit den Worten: „Den anderen hättet ihr sowieso nicht sehen wollen.“

Was dagegen wirklich zählt, ist Geschwindigkeit. Manche Gags wurden in fünf Bildern gezeichnet, die das Auge bei 24 Bildern pro Sekunde nur gerade eben wahrnehmen kann. Als permanenter Schock nimmt das Geschehen auf der Leinwand dadurch rasend schnell die Form eines traumatischen Erlebnisses an, so daß dem Wolf praktisch aus dem Nichts plötzlich ein Amboß auf den Schädel zu fallen scheint. Der Schrecken ist dann nicht mehr nur konstruiert, sondern eine Ausgeburt der eigenen Phantasie und Schadenfreude. Anstelle der Charaktere identifiziert man sich mit den Affekten: Screwy Squirrel überlegt nicht erst, was es als nächstes mit dem Jagdhund anstellen soll, es blättert ganz einfach den Hintergrund zum folgenden Bild um, um in die Zukunft zu blicken. Die Geschichte dient dabei aber sowieso nur als Vorwand für die Tricks. Was ein Mensch in der Wirklichkeit anstellt, ist im Cartoon nur selten lustig.

Für die meisten Tiere endete die Zusammenarbeit mit Tex Avery jedoch völlig unverhofft im Jahr 1942, als der Regisseur zu MGM überwechselte. Avery durfte weder Porky Pig noch Daffy Duck oder Bugs Bunny für spätere Cartoons wiederverwenden. In Hollywood war jedes Zeichen kapitalisiert, und neben den Filmrechten gingen auch die Figuren in das Eigentum der Studios über.

The Best of Tex Avery, mit Droopy, Screwy Squirrel, dem Wolf u.a.; USA 1942-1952; 85 Minuten, Filmstart 29.Juli