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Grob nach Aischylos

Zur Eröffnung der Salzburger Festspiele Peter Sellars' „Die Perser“: Xerxes im Wüstensturm  ■ Von Arnd Wesemann

Peter Sellars ist ein Krieger. Seine Schlachtbahn ist das Drama. Sein Schwert sind die Nachrichten von Amerikas weltweiten Fronten. In Deutschland bekannt wurde Sellars 1987 zum „Theater der Welt“ in Stuttgart. Sophokles' „Ajax“ war ihm der Krieg Amerikas gegen Nicaragua, Mozarts „Cosi fan tutte“ der Krieg Amerikas gegen Vietnam und „Julius Caesar in Ägypten“ der Krieg Amerikas gegen Gaddafi. Jetzt, zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, sah man Krieg gegen Saddam Hussein. Hussein heißt bei Sellars Xerxes, jener persische Feldherr, der 480 vor unserer Zeitrechnung die Seeschlacht bei Salamis verlor und von einer vernichtend kleinen griechischen Minderheit in die Flucht geschlagen wurde.

Sellars hegt große Sympathien für den irakischen Verlierer. Sein Dramaturg und Aischylos-Bearbeiter Robert Auletta ist ganz hin und weg vor Sorge um den kleinen Xerxes. Dieser schwamm bis an die Zähne bewaffnet unter der Küste, da erschien die wendigere Flotte der später attischen Seemacht und traf sein Perserdasein an empfindlicher Stelle – ein Verlierer zu sein. Xerxes-Saddam hat sich bei Sellars unter die Soldaten gemischt, um nach der Niederlage unerkannt zu entkommen; stolz ist er, daß die attischen Amis ihn nicht finden. Er ist ein Soldat unter Soldaten, kein Schlächter. Darum nimmt ihn Mama auch fest in die Arme. „Komm“, sagt sie, „laß uns nach Hause gehen“, und am Mutterschoß befiehlt er: „Vergeßt die Toten!“

Nun hat in Wahrheit keine Minderheit, sondern eine heillose amerikanische Übermacht den kleinen Xerxes-Saddam in die Flucht geschlagen – Sellars vergleicht die wendige Griechenflotte mit den wendigen cruise missiles. Wie bei Aischylos, so fehlten auch im Golfkrieg die sichtbaren Toten. Außer einem väterlichen Geist, Darios, der kurz dem Grab entsteigt und sein Königreich am Rande des Ruins entdeckt, gibt es bei Aischylos keine einzige Leiche – im Fernsehen sah man auch keine.

Man muß schon eine gehörige Portion Amerikaner sein, um einen antiken Botenbericht und einen militärisch opportunen CNN- Sender in eins zu setzen. Sellars hat in diesem Punkt trotzdem recht. Was war ein antiker Botenbericht bei den griechischen Dramen- Wettbewerben anderes als Nachricht? Warum wurde Aischylos' „Perser“ auch außerhalb der Dionysien gegeben, was sonst nie der Fall war? Wegen des großen Erfolges? Wohl kaum. Eher wegen des populären CNN-Effektes eines in unpopulären Machtkriegen verstrickten Stadtstaates. Athens Vorherrschaft im östlichen Mittelmeerraum war noch jung und keineswegs gefestigt. Dramen dienten durchaus auch der Propaganda.

Doch wären Sellars und seine Mitstreiter Roberto Auletta keine waschechten Amerikaner, wenn sie nicht Magensäure stimulierendes Pathos produzierten. Da verflucht der zweistimmige Chor (Ben Helley, Joseph Haj) die Amerikaner im Duett: Sie hätten doch selber Erdöl, das sei ihnen wohl nicht genug, sie seien ja paranoid, sie müssen auch noch Kuwait haben. Der Königin von Persien (Cordelia Gonzales) erscheint im Traum die Schwester in westlicher Kleidung, was weit schlimmeres Unglück bedeutet. Und in der Tat, in diesem Moment taumelt ein Wunder von Bote herein, ein kleiner Tai-Chi- Hüpfer in Gesichtsmaske (Martinus Miroto), der mit krummen Füßen und Fingerchen stumm den Schrecken des Krieges zeigt, wie von einem unheilbaren Nervenfieber befallen. Die Fingerchen zeigen in die Leere der Schlachtsee, die Beinchen verschwinden ertrinkend. Der in der Sprache der Taubstummen redende tote König Darios (Howie Seago) deutet dies als den unschuldigen Tod der Kinder im Golfkrieg. Er wird wahnsinnig in seiner TaubstummenGebärde: Wie nur die Kinder Opfer eines so tyrannischen Krieges werden dürften ...

Das zieht. Weil die Amerikaner im Fernsehen keine Leichen sahen, können sie nun millionenfach Leichen erfinden. Weil niemand in Amerika aufstand und sagte: „Nie wieder Krieg“, mußte die irakische Zivilbevölkerung dran glauben. Weil jeder für lebendige Kinder ist, eignen sie sich hervorragend, Saddams Unschuld zu behaupten. Wo eine Bombe auf Kinder fällt, gibt es keine Entschuldigung mehr. Saddams Bomben auf Kurdenkinder kommen erst gar nicht vor [als ginge diese rechnung jemals auf?!, d. s-in]. Solch einseitig sich immer weiter steigernde Pathetik gerät zum Selbstläufer. Nichts hält den bodenlosen Geschichtskitsch auf – selbst ein nur unwesentlich politisch gebildeter Zuschauer, ja selbst ein strenger Hussein-Anhänger würde diese Schnulze für eine unverschämte Lüge halten – Aischylos' attische Propaganda hielt sich wenigstens noch an Fakten. Sellars dagegen drückt einzig und allein auf die Tränendrüse amerikanischer Kindernaivität.

In solcher Textfassung hilft auch kein „Sturm der Schrapnells“, in welchem die Soldaten nicht sahen, wen sie überhaupt töteten. Da hilft nicht, daß die „american-made monsters“ Rambo und Terminator heißen, deren Konterfeis weltweit in allen Trainingscamps von Somalia bis Hammelburg hängen.

Da hilft nicht, daß der Krieg ein KZ in der Wüste ist. Und es hilft nicht, daß alle Betroffenheit und Wut über Mikrophon zu Lärm und Geschrei verstärkt wird. Es bleibt Theater an die falsche Adresse. Solches Theater dient, wie üblich, nicht, den Bürger zu bilden, sondern ihm den Status quo auch seiner falschen politischen Instinkte zu bestätigen. Je mehr sich Theater als solche „Bildungs“-Institution behauptet, um so mehr geht ihm die Magie und die Anziehungskraft verloren, um so mehr nähert es sich der Kirchenkanzel, die an diesem Abend in Salzburg mit einem Friedensgebet für alle getöteten Kinder dieser Welt hätte enden sollen, wäre Sellars nur konsequent geblieben.

Sellars, der interkontinentale Reiseregisseur, hat ein Problem, wie er selber sagt, eine unumwunden zugegebene Scheu, vor europäischem Publikum aufzutreten: „In Amerika fühle ich, daß ich in präzisen Tönen und Bildern arbeiten kann. Ich weiß, welche Wirkung sie auf ein Publikum haben, ich kann das haarscharf berechnen. Das geht im Ausland nicht. Ich wüßte nicht, wie sich dort die Körpertemperatur hochtreiben oder runtertreiben läßt.“

Der Betroffenheits-Apologet aus Los Angeles als Theaterpriester auf fremdem Terrain, als Fernsehprediger seines „Tannhäuser“ nach Wagner, den der 35jährige Sellars auch schon inszeniert hat. Sellars' Traum bleibt dennoch, das ihm fremde, aufgeklärte Publikum noch einmal zu bekehren. Das ist so anständig wie überflüssig. Laurie Anderson kam mit denselben Platitüden auch nicht weiter als bis zur europäischen Einsicht, die Amerikaner würden sich tatsächlich wieder für Politik interessieren. Der nimmermüde Berufsschürfer Sellars hat am klassischen europäischen Dramenberg inzwischen Opern, Meyerhold und sogar Bach für sein CNN-Theater abgebaut. Das zeichnet ihn zwar als politically correct aus, allein, einen Wüstensturm kann er im Theater damit nicht entfachen; es bleibt aufgeblasen heiße Luft.

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