: Konkursrichter haben viel zu tun
■ Von Januar bis Mai dieses Jahres stieg Zahl der Insolvenzen um über dreißig Prozent gegenüber dem Vorjahr
Der Gang zum Konkursrichter, mit dem erst kürzlich der renommierte Klavierhersteller „Bechstein“ aus Kreuzberg die Öffentlichkeit aufschreckte, wird in Berlin von immer mehr Unternehmen angetreten. Wie das Statistische Landesamt gegenüber der taz auf Anfrage bestätigte, meldeten von Januar bis Mai dieses Jahres 372 Unternehmen beim Amtsgericht Charlottenburg Konkurs an – das sind rund 36 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (273 Insolvenzen). Während die Zunahme im Westteil der Stadt mit 255 gegenüber 228 im Zeitraum Januar bis Mai 1992 nur geringfügig angestiegen ist, wurde in Ostberlin fast eine Verdreifachung verzeichnet. Hier meldeten von Januar bis Mai 117 Unternehmen Konkurs an, im Jahr zuvor waren es gerade einmal 45.
Überrascht über den Anstieg im Ostteil der Stadt zeigte sich gegenüber der taz die Industrie- und Handelskammer (IHK). Wie IHK- Pressereferent Erich Lange erklärte, sei die Zunahme der Konkursanmeldungen vermutlich Ausdruck eines „Basiseffekts“, der vor allem viele Neugründungen betreffe. Erfahrungsgemäß bräuchten Unternehmen zwischen drei und acht Jahren, um sich auf dem Markt zu konsolidieren. Nach Ansicht von Lange sei für viele Unternehmen, die sich kurz nach der Wende gründeten, diese Konsolidierungsphase noch nicht abgeschlossen. Der Sprecher äußerte die Vermutung, daß die Zahl der Ostberliner Unternehmen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, „auch in Zukunft weiter ansteigen wird“. Die Steigerungsquote im Westteil bezeichnete Lange als „durchaus im Rahmen des Üblichen“. Konkurse seien hier zumeist auf die Rezession zurückzuführen.
Beim Berliner Handwerk werden die Zahlen mit Gelassenheit betrachtet. Nach Auskunft des Geschäftsführers der Handwerkskammer, Dietrich Krause, gebe es unter den Handwerksbetrieben keine „Tendenzen zu einem Anstieg der Insolvenzen“. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Betriebe, die wegen Konkurs aus der Mitgliedliste der Handwerkskammer gestrichen wurden, mit 145 im Ostteil der Stadt und 148 in Westberlin annähernd gleich stark gewesen. Im ersten Quartal 1993 hätten von 288 Ost-Betrieben, die sich aus dem Melderegister der Kammer löschen ließen, nur 13 eine Insolvenz als Grund für ihre Aufgabe angegeben. Krause räumte allerdings ein, daß die Zahl der Konkurse durchaus höher sein könne, da viele Ein-Personen-Firmen ihre Zahlungsunfähigkeit nicht bei Gericht melden müßten. Diese Pflicht gelte nach der Konkursordnung nur für juristische, nicht aber für private Personen. Severin Weiland
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