Hauptstadtmusik: Vom Schwarzen Peter
■ Händels „Ezio“ und Cavallis „Ormindo“ im Hebbeltheater
Heiliger Sankt Florian! Ging doch schon wieder der Schwarze Peter um! Vorgestern hat der Prozeß ums Schiller Theater begonnen, und eigentlich sollte man meinen, daß die gesamte Berliner Bildungs-Bürgerschaft eine Kampffront bildet und laut schreit: „Schiller muß bleiben. Goethe aber auch!“ Und Mozart! Und Verdi! Und Puccini! Und Wagner! Und überhaupt! Statt dessen versuchen alle, in vorauseilendem Gehorsam selbst tüchtig Kultur zu sparen, wobei jeweils der Gürtel anderer Leute virtuell enger geschnallt wird. So meinte zum Beispiel kürzlich schon wieder eine öffentliche Meinung, schillerpolitisch engagiert: diese Stadt leiste sich üppiger- und überflüssigerweise drei Opernhäuser. Und das ist nun wirklich nachweislich völlig falsch.
Es sind sechs. Und zwar vier mit und zwei ohne festes „Haus“. Zu den drei großen, die augenblicklich saisonbedingt geschlossen haben, kommen nämlich noch drei kleine, weitgehend frei finanzierte Unternehmen, die zwar nur ein bis zwei Produktionen pro Jahr auf die Beine stellen können, dies aber mit Esprit. Sie tun sich hervor mit seltenen Ausgrabungen (so zum Beispiel die Neuköllner Oper neulich mit E.T.A. Hoffmanns „Aurora“, vgl. Hauptstadtmusik vom 27.5.) oder aber mit fetzigen Interpretationen oder aber beidem. Dafür hapert es leider meist mit der Musik. Denn alle drei sind echte närrisch-altmodische Liebhabertheater, die sich von der Opernbesessenheit diverser Vereinsmitglieder nähren, deren Mittel knapp sind – andererseits nichts auf der Welt bekanntlich so viel Geld kostet wie gute Musik, wobei die Gagen der Solisten noch das Geringste, aber davon später – zur Sache:
Bis zum 18. Juli lief im Hebbeltheater die neueste Produktion der „Neuen Opern- und Theaterbühne Berlin e.V.“: insgesamt nur sechsmal gab es den „Ormindo“ von Francesco Cavalli zu sehen, und zwar in einer atemberaubenden Comic-Version, die das landläufige Vorurteil, Barockopern seien wirr, langweilig und für moderne Ohren eintönig, einfach über den Haufen warf. Dieser „Ormindo“, befreit aus dem Staub der Archive, glänzte frisch wie neu. Tatsächlich ist ja auch die Geschichte, die da erzählt wird, sowohl uralt-lavendel wie auch topaktuell – schließlich dreht sich in Kunst und Leben jeder ernste Konflikt seit jeher immer nur um Macht oder Liebe. Hier liebt eine silbern zwitschernde Barbiepuppe, die dummerweise schon verheiratet ist mit einem baßdröhnenden alten Gurkenkönig, den hübschen, dummen Heldentenor. Woraufhin die beiden durchbrennen, geschnappt und zum Tode verurteilt werden und so weiter. Das geht ab in Pink! Blau! Orange! Boiing, Whouw, Zoom, Crash! – mit dem dazugehörigen: „Ha! Verräter! Nimm dieses! An mein Herz! Geliebte!“ – so rasant, daß man sich am Ende verwundert die Augen reibt und gerne alles noch einmal von vorne gesehen hätte. Sogar eine war diesmal dabei, die hätte ich jederzeit gern noch einmal gehört: Carolin Masur, buffomäßig makellos, in der Nebenrolle der Dienerin Melide.
Seit dem 25. Juli ist nun die dritte und dienstälteste Freie Operntruppe Berlins im Hebbeltheater zu Gast und zeigt dort den „Ezio“ von Georg Friedrich Händel. Die Berliner Kammeroper ist (dank dem musikalischen Leiter Brynmor Llewelyn Jones) die einzige freie Gruppe dieser Art mit einer professionell einwandfreien Orchesterleistung. Will sagen: Sie kann sich auch hören lassen. Natürlich gilt das nicht durchweg für die jungen Sänger. Arien, die Händel seinerzeit einem so gewaltigen Kastraten wie Senesino auf den Leib komponiert hat, lassen sich von Nachwuchs-Countern nicht ohne Einbuße in voller Da-Capo-Länge einfach heruntersingen. Doch Llewelyn Jones, der Gute, nimmt, wo nötig, elegant das Tempo zurück. Er stützt und hilft, winkt ab und dämpft, und macht die schlimmsten Schnitzer schnell wieder gut. Richtig glücklich wird der Mann, als im Laufe des Premierenabends gleich zwei seiner Schäfchen zu ganz großer Form auflaufen: der schöne Baß von Fiesling Varo, Chef der Prätorianer (Johannes Schwärsky), ist anfangs noch etwas verhangen und holt erst, wie am Ende Rom brennt, in seiner großen Arie voll Blut und Feuer, Flamme und Schwert alles heraus: volle mittlere und hohe Lagen, und dann ein sauberer Absturz tief hinab in die Bassistenhölle, wo sie am schwärzesten ist. Und Fulvia (Lori McCann), die edle Römerin: zerrissen zwischen Liebe und Pflicht, wie sie sich mit blitzender Stimme zur Wahrheit bekennt oder am Ende innig Klage führt über den Meuchelmord am Geliebten – diese junge Dame ist so phantastisch, daß die Berliner Kammeroper sie sich gewiß nicht ein zweites Mal leisten kann.
Das ist ein Problem der Freien: Sie entdecken Talente, die ihnen dann abgeworben werden. Oper ist ohrenbetäubend teuer. Ein Abend „Ezio“ zum Beispiel, selbst wenn rappelvoll ausverkauft, deckt gerade 10 Prozent der Kosten. Der helle Wahnsinn daran ist, daß Freie Gruppen ihre Produkte höchstens sechs- bis siebenmal vorzeigen können. Sie proben praktisch aus purem Idealismus direkt für den Fundus und für die Erinnerung – wobei Liebesduette... HAALT! Teufelteufel, die Redakteuse vom Dienst: der Kasten wird wieder zu voll! Gut also, Schluß und Punkt – aber dann hätte ich demnächst gern eine ganze Seite Platz für ein „Hauptstadtmusik-Spezial“ zu diesem Thema, ja?! Eleonore Büning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen