: Ein neues Zauberwort im Nahen Osten
Die Idee eines gemeinsamen Marktes der arabischen Staaten und Israels zieht Kreise / Debatten über Freihandelszonen und Exportsteigerungen / Kritiker insistieren auf der Lösung des Palästinenserproblems ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Die Idee klingt relativ einfach: Man nehme alle Staaten einer Region, fasse sie in einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammen, um dann anschließend im gemeinsam erarbeiteten Wohlstand zu schwelgen. Doch während die europäischen Regierungen ihrer Bevölkerung nur mühsam die Maastrichter Verträge schmackhaft machen können, scheint eine solche Idee für den Nahen Osten angesichts konstanter politischer Spannungen ein noch abwegiger Gedanke.
Dennoch: Nahöstlicher Markt heißt das neue Zauberwort, das seit Beginn des Jahres heiß diskutiert wird. Die Sache hat nur einen großen Haken. Abgesehen von den arabischen Staaten, die sich schon seit Jahren nicht auf ein solch rein arabisches Projekt einigen können, soll nun Israel den Kern dieser zukünftigen Wirtschaftsunion darstellen.
Man bedenke, daß Israel derzeit außer mit Ägypten mit keinem arabischen Land diplomatische Beziehungen unterhält. Die arabischen Länder boykottieren nicht nur Israel wirtschaftlich, sondern auch alle Firmen, die offen mit dem jüdischen Staat zusammenarbeiten. Ohne eine umfassende Lösung des Palästinaproblems, einen Rückzug aus der von Israel besetzten Westbank und dem Gazastreifen, den syrischen Golanhöhen und dem Südlibanon, so die offizielle arabische Position, wird dieser Boykott auch weiterhin aufrechterhalten. Israel gehört dagegen zu den großen Förderern der Idee einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit seinen arabischen Nachbarn. Das krisengeschüttelte Land hofft so, ohne weitere Zugeständnisse ein Ende des Boykotts herbeizuführen. Der Status quo spricht für sich. Selbst Ägypten, das als einziges arabisches Land mit Israel einen Friedensvertrag unterzeichnet hat, legt keinen großen Wert auf den Ausbau der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Weniger als 40 Millionen US- Dollar beträgt derzeit das Handelsvolumen der Nachbarn.
Und doch scheint die arabische Position derzeit aufzuweichen. Begonnen hatte das Ganze mit der Nahost-Friedenskonferenz in Madrid im Herbst 1991 und der Hoffnung auf eine neue politische Ordnung in der Region nach dem Ende des Krieges gegen den Irak. Neben den bilateralen Verhandlungen in Washington sind seitdem auch multilaterale Gespräche fester Bestandteil des Friedensprozesses. Mit der „Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen in der Region Nahost“ befaßt sich eine der Gesprächsgruppen – bisher allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Die arabische Seite möchte zunächst Fortschritte in den bilateralen Gesprächen sehen.
Doch unterhalb der offiziellen Ebene brodelt es bereits. Zahllose Seminare und Workshops, die seit Beginn des Jahres von US-thinktanks, Weltbank- und EG-Vertretern bis hin zur SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wurden, befassen sich mit dem aufgehenden Stern des gemeinsamen nahöstlichen Marktes. Allein in Kairo fanden in diesem Jahr vier solche Treffen statt. Die bisher „offiziellste“ arabische Zustimmung zu dem neuen Gedanken kam im Februar von Yussuf Wali, dem ägyptischen Landwirtschaftsminister und Vorsitzenden der Partei des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Das neue weltwirtschaftliche System erfordere große Wirtschaftsblöcke, und Ägypten könnte mit Israel die Achse eines neuen Marktes bilden, dem sich dann auch die anderen arabischen Länder anschließen könnten. Das überraschende Statement Walis in einem Interview der Regierungszeitung Al-Ahram sorgte dann auch für einigen Wirbel.
Auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Monat später in Kairo, an der ägyptische, jordanische, libanesische, palästinensische und erstmals sogar israelische Wissenschaftler und Journalisten teilnahmen, wurden die Blaupausen eines solchen Marktes bereits eifrig entworfen. Es herrschte Aufbruchstimmung. Von Freihandelszonen, dem Ausbau der Straßen, Exportkrediten und Kreditgarantien war die Rede. Gegenseitiges Management-Training, ein gemeinsamer Tourismusverein und die Schaffung einer Arabischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung mit Israel als Herzstück wurden für die Zukunft entworfen.
Der EG-Vertreter Eberhard Rhein hatte auch gleich die marktwirtschaftlichen Argumente in Zahlen zur Hand. Die Ökonomien Ägyptens, Jordaniens, Syriens und Israels könnten sich gegenseitig ergänzen. Sie seien unterschiedlich entwickelt und mit unterschiedlichen Industriegütern wettbewerbsfähig. Ihre Bevölkerungszentren lägen nicht mehr als 800 Kilometer voneinander entfernt, nicht weiter also als das südliche Deutschland von Norditalien. Der Handel untereinander könnte von derzeit fünf auf 25 Prozent der Exporte gesteigert werden. Vorausgesetzt natürlich, das politische und geschäftliche Klima stimme und eine Infrastruktur werde ausgebaut, die das steigende Verkehrsaufkommen absorbieren könne, prognostizierte Rhein in einem der Konferenz vorgelegten Papier. Die EG, fügte er hinzu, sei auch bereit, eine Studie über Straßenverbindungen zwischen der türkischen und ägyptischen Grenze zu erstellen. Eine Untersuchung über einen möglichen Stromverbund sei bereits in Auftrag gegeben.
Für einige ägyptische Wissenschaftler wie Usama Al-Harb von Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien ist der Markt schon ausgemachte Sache. „Der Nahöstliche Markt wird kommen, egal, ob wir Araber das wollen oder nicht. Die Frage heute lautet: Befassen wir uns mit der Sache, oder ignorieren wir sie?“, ließ Al-Harb unlängst auf einem Seminar zum Thema „Ägyptens Weg aus der Krise“ verlauten. Als „Politische Ökonomie des Friedens“ wurden derartige Pläne auf anderen Treffen begeistert bezeichnet. Brüssel- Vertreter Rhein sprach vom Handel, der die Menschen vereinige, und Yussuf Wali sah in der Wirtschaft das Tor zum Frieden.
Derartige Begeisterungswellen riefen schnell die Kritiker auf den Plan. Daß solch ein Thema diskutiert werde, bevor eine Lösung des Palästinaproblems und der israelische Rückzug aus den besetzten Gebieten greifbar sind, führe dazu, daß die arabische Seite ihren letzten effektiven Trumpf – den Wirtschaftsboykott gegen Israel – aus der Hand gebe. Und das in einer Zeit, in welcher der Boykott ohnehin schon aufgeweicht sei und Staaten wie Kuwait offen dessen Ende forderten. Warum diese Eile, fragen sich viele. Ein gemeinsamer arabischer Markt sei vom Westen nie mit dem gleichen Eifer gefördert worden.
Einige ägyptische Ökonomen wie der Wirtschaftsprofessor an der Amerikanischen Universität in Kairo Galal Amin oder sein Kollege an der Kairoer Universität, Mahmud Abdel Fadil, argumentieren bereits auf marktwirtschaftlicher Ebene. Dahinter stecke meist die Furcht vor einem übermäßig starken israelischen Nachbarn. Wirtschaftliche Zusammenarbeit sei immer dann gefährlich, wenn technologisch und ökonomisch große Lücken zwischen den Partnern klafften. Dann sei die Kooperation immer im Interesse des Stärkeren, wie das Beispiel USA und Lateinamerika zeige, argumentiert Amin in der Oppositions- Zeitschrift der Islamischen Koalition As-Schaab. Israel würde in einem solchen Markt zum Hauptanziehungspunkt für ausländisches Kapital, zum Zentrum für Fortschritt, Modernisierung und Technologie. „Es wird den meisten Profit in der internationalen Kooperation im Bereich des High-Tech machen. Die umliegenden arabischen Länder würden dann zu Sub-Vertragspartnern Israels für die Arbeiten, die nur ungeschulte, billige Arbeitskräfte einfordern“, prognostiziert Abdel Fadil in der linken arabischen Monatszeitschrift Al-Yassar. Das Ziel sei es, so Amin, „unter dem Slogan, daß wir im Zeitalter der großen Wirtschaftsblöcke leben, unsere Rückständigkeit zu zementieren“. Das gelte um so mehr, da Israel als einziges Land der Region die nukleare Option in den Händen halte und so dessen Interesse auch mit militärischem Druck durchsetzen könne. Für manchen arabischen Kritiker ist der nahöstliche Markt nichts anderes als ein Geheimcode für die indirekte Schaffung eines „Großisrael“.
Und noch etwas anderes vermuten die Kritiker hinter der Idee. Das durch Milliarden-Hilfen aus Washington subventionierte „Projekt Israel“ ist inzwischen für die in Nöten geratene US-Wirtschaft zu teuer geworden. Da liegt es nahe, daß in Zukunft vor allem die arabischen Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Kuwait und die Emirate mit ihren Petrodollars in das Projekt einsteigen und so den US-Haushalt entlasten.
Auch der ägyptische Politologe Muhammad Sid Ahmad warnt davor, das ganze Gerede um den Markt könne dazu führen, daß in den multilateralen Nahost-Gesprächen Fortschritte erreicht werden, ohne daß das Palästinaproblem wirklich gelöst wird. Das israelische Verhandlungsteam benutze den Markt als eine Art Waffe, um die arabische Boykott- Position ins Wanken zu bringen. So hofften sie, die Palästinenser von den anderen Arabern politisch zu isolieren. Eine solche Position führe dazu, daß der Konflikt nicht beigelegt werde und folglich immer wieder aufflammen werde. Und dann wohl nicht unter dem überholten Vorzeichen des Pan- Arabismus, sondern dem Banner eines radikal verstandenen Islam.
Sid Ahmad rät der arabischen Seite, den Spieß einfach umzudrehen und das Argument eines nahöstlichen Marktes zu funktionalisieren, nämlich, Israel dazu zu bringen, einer für die arabische Seite akzeptablen Lösung des Palästinaproblems zuzustimmen. Das sei besser, so Sid Ahmad, als wenn Israel den Markt dazu benütze, die Palästinafrage gänzlich auszuschalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen