: Kultur als Terrain neuer Weltkonflikte
Weder ideologisch noch ökonomisch bedingt sehen Polit-Deuter die künftigen Auseinandersetzungen. Ihre Prognose: Islam kontra Abendland, Konfuzianismus gegen US-Puritanismus ■ Von Stefano Del Re
„Es weht“ schrieb Edmund Wilson einst in seinem zum Kultbuch gewordenen „The Sixties“, „ein ziemlich starker Wind von Links“: Es war die Kurzformel für das, was sich in den sechziger Jahren dann an politischem Wandel tatsächlich einstellte.
Auch heute ließe sich ein starker Wind feststellen, doch anders als damals ist es diesmal nicht der Wind, der die Welt verändert, sondern die veränderte Welt, die zusammengestürzte globale Ordnung, die den Wind dreht. Die Interpretation dieser Mutation suchen heute vor allem Intellektuelle zu begreifen – während die Politiker, Staatsmänner, Diplomaten, Militärs vollauf mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, im Vorderen Orient, im Kaukasus, in Somalia und den Unruhen in Los Angeles oder Soweto beschäftigt sind.
Bei der Ausarbeitung ihrer Szenarien für die Welt des 3. Jahrtausends geraten inzwischen erstaunlich viele Interpreten auf das Gebiet der Kultur als dem Bereich zurück, in dem sich – statt der ideologischen, wirtschaftlichen, politischen – künftige Auseinandersetzungen um ein neues Gleichgewicht der Welt abspielen werden.
In den Vereinigten Staaten hat vor wenigen Tagen der Direktor des Instituts für strategische Studien der Universität Harvard, Samuel P. Huntington, diese These in einem Artikel für Foreign Affairs als Leitfaden seiner Vorstellungen aufgenommen und damit sofort eine lebhafte Debatte ausgelöst. Nach Huntington tritt die Weltpolitik in eine neue Phase ein, welche die Intellektuellen mit all ihren Deutungen – vom Ende der Geschichte, der Rückkehr zur Rivalität zwischen Staat und Nation, dem Untergang der Nationalstaaten unter dem Druck der Stammesfehden – bisher nur fragmentarisch zu erklären vermochten. Der Grund dafür liegt darin, daß sie das vorrangige Element des Wandels außer acht lassen: Die großen Auseinandersetzungen und Hauptquellen der kommenden Konflikte werden nicht mehr auf ideologischem oder ökonomischem Gebiet ausgetragen, sondern auf dem der Kultur.
„Die Konflikte zwischen Herrschern, Nationen und Ideologien, wie wir sie seit dem 18. Jahrhundert bis zum Kalten Krieg kannten“, erklärt Huntington, „waren interne Konflikte der abendländischen Kultur, sozusagen Bürgerkriege des Westens. Mit dem Ende des Kalten Krieges beginnt die Auseinandersetzung zwischen dem Abendland und der nichtwestlichen Zivilisation.
Die letzte Phase von Konflikten ist erreicht
Die Völker und Regierungen der letzteren sind nicht länger Objekte des westlichen Kolonialismus, sondern holen den Westen als Antrieb und Gestalter der künftigen Geschichte ein.“ Das, was wir laut Huntington in den kommenden Jahren erleben werden, ist die letzte Phase der Entwicklung von Konflikten innerhalb der modernen Welt, wobei der Westen mit dem Rest der Welt zusammenstoßen wird, speziell mit jener des Konfuzianismus (China und andere Länder des Fernen Ostens) und des Islam.
Eine radikale Theorie, so scheint es, und doch steht sie keineswegs alleine da. Ganz ähnlich deutet auch einer der anerkanntesten Islamisten des Westens, Bernhard Lewis von der Princeton-Universität, in seinem soeben erschienenen Buch „Islaman the West“ die Lage: Zentral ist bei ihm die These von der Unfähigkeit des Westens zum Verständnis für die Universalität und Zentralität der islamischen Religion und Lebensweise. Die Auseinandersetzung zwischen Islam und dem Abendland ist ihm dabei nicht ein Kampf zweier Religionen, sondern „ein Zusammenstoß zweier Zivilisationen; die vielleicht irrationale, aber nichtsdestoweniger historische Reaktion eines alten Rivalen gegen unser jüdisch-christliches Erbe, gegen unsere säkularisierte Gegenwart und die weltweite Expansion beider.“ Auch der Historiker und ehemalige amerikanische Regierungsberater Francis Fukuyama, Autor von Büchern über „Das Ende der Geschichte“ und einer der umstrittensten Zeitanalytiker der USA, geht davon aus, daß „angesichts des Mangels von Ideologien künftig die Spaltungslinien der Welt entlang der Kulturen verlaufen werden.“
Darauf versucht nun Umberto Eco zu antworten. Für ihn geht das moderne Europa seinem Ende entgegen, und so stehen wir vor der Notwendigkeit, eine föderative Form für den Alten Kontinenten zu finden, der auch den großen Wanderungsströmen unserer Zeit Rechnung trägt. Recht optimistisch kann sich der Autor des „Namens der Rose“ eine Art europäischen Schmelztiegel vorstellen, der gerade die unterschiedlichen Ethnien, Religionen und Kulturen zu seinem Kennzeichen macht.
Dagegen steht natürlich vor allem der Berliner Historiker Ernst Nolte: „Das grundlegende Kennzeichen des 21. Jahrhunderts“, erklärt er der italienischen Zeitschrift Panorama, „wird die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit seitens der postkommunistischen Zweiten Welt und der Dritten Welt sein. Wenn alle Staaten der Zweiten und Dritten Welt die Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Auswanderung beachten und gleichzeitig alle Staaten der Ersten Welt eine ähnliche unbeschränkte Erlaubnis zum Asyl für politisch Verfolgte gäben, würden in wenigen Jahrzehnten Hunderte von Millionen Menschen ihre Länder verlassen und ein besseres Leben im Westen suchen. Konsequenz: Die Erste Welt würde Teil der Dritten Welt und jegliche nationale und kulturelle Identität würde in allgemeinem Elend untergehen.“
Auch Hans Magnus Enzensberger hat sich zum Thema Finis Europae geäußert: „Dem kalten Krieg ist eine neue Weltordnung gefolgt, die unter dem Zeichen des Bürgerkriegs steht“, schreibt er in seinem jüngsten Spiegel-Essay, „ein molekularer Bürgerkrieg der Metropolen, in dem sich die Gewalt von jeglichem ideologischen Fundament befreit hat.“ Nach Enzensberger wird im Rahmen dieses Kampfes aller gegen alle jeglicher Universalismus zur moralischen Falle: Noch nie waren die Menschenrechte überall so bekannt wie heute, doch die Entfernung zwischen den Prinzipien und deren Anwendung macht sie selbst in demokratischen Staaten geradezu lächerlich. Wenn die Welt diese Prinzipien beim Wort nimmt, so ist es die Schuld der Europäer und Nordamerikaner, die schließlich seit zweihundert Jahren predigen, daß die Menschenrechte ohne Unterschied für alle gelten müssen. Die Konsequenz Enzensbergers ist so eindeutig wie hintergründig: Wir haben in der Tat keinerlei Lösung für die Probleme anderer. Und er erinnert seine Landsleute daran, daß für sie nicht das Problem des somalischen Bürgerkriegs höchste Priorität hat, sondern das der Morde von Solingen.
Die Idee einer Weltkultur rückt in weite Ferne
Es wird also nicht nur zu Kulturkriegen zwischen den Völkern, die sie tragen, kommen, sondern auch zu Zusammenstößen interner Kulturen. Die Peripherien der Staaten, die die verschiedenen Kulturen zentral tragen, stoßen hinein ins Zentrum und lösen neue Konflikte aus. Das gilt nicht nur für den Westen, es gilt auch für die islamische Welt selbst, für Japan, für Indien mit ihren Kulturen. Alle Staaten, die heute hin- und hergerissen sind zwischen einer angestammten oder machtvoll nach vorne drängenden internen Kultur und dem prowestlichen Hang ihrer Führungsklassen, werden in den Konflikt hineingetrieben. Die drei augenscheinlichsten Beispiele hierfür sind die Türkei, Mexiko und vor allem Rußland. Nach Huntingtons These wird so schon in wenigen Jahren die kulturelle Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der restlichen Welt offen ausbrechen, die Idee einer Weltkultur oder zumindest einer weltweit gemeinsamen Zivilisation endgültig zerbrechen und statt dessen eine Welt unterschiedlicher, sich miteinander messender und kämpfender Kulturen entstehen.
Die Konsequenzen sind nicht erhebend. Denn nicht nur aus ökonomischen oder ideologischen Gründen können neue Weltkriege entstehen – auch aus kulturellen.
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