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Einmal barocker Körper, am liebsten in Öl

■ Bilder leihen in der Graphothek: eine Selbsterfahrung / ausgegangene Erotik u.a. für's heimische Büro

„Es soll was erotisches sein,“ raune ich Herrn Patz zu, „unsere Firma ist so körperfeindlich, alle Naslang ist jemand krank am Rücken.“ Gerd-Peter Patz ist Chef der Bremer Graphothek und ein klein bißchen frappiert ob des Wunsches. Die Graphothek in der Weserburg ist eine Leihbibliothek für Bilder, ja wirklich, man kann sich dort leibhaftige Kunst einpacken lassen, nach Hause tragen und übers Sofa hängen. Oder an die kalten Wände der taz. Jetzt sucht Herr Patz was erotisches für die taz.

Patz ist Herr über den systematischen Katalog aller 3.200 ausleihbaren Bilder und Kleinplastiken. Der Besucher kann hier „Aquarelle“ durchforsten; kann die Rubrik „Landschaft“ ansehen (Ausleihrenner, besonders wenn in Öl); er kann auch, wenn gerade keiner guckt, in der Abteilung „Erotik“ blättern. Herr Patz blickt mir über die Schulter und raunt: „Ernst Fuchs, mal sehen, ob der da ist.“ 750 Mark, lese ich auf der Karte, das finde ich o.k.. Ich will ja nicht kaufen. Ich will leihen.

Es ist heute mein erstes Mal. Dabei ist Bilderleihen fast schon eine Mode: Im letzten Jahr verzeichnete die Graphothek, die bald 20 Jahre alt wird, 10.000 Ausleihen. Darunter Großkunden wie das St.-Jürgen-Krankenhaus, das Gefängnis, die AIDS-Beratung im Gesundheitsamt und das Frauenkulturhaus. Ohne Bilder ist die Welt arm.

Herr Patz enttäuscht mich: Fuchs ist ausgeliehen. Unsere Vorstellungen von Erotik gehen ohnehin ein wenig auseinander, was ich merke, als er aus einem Regal eine dünne Bleistiftgezeichnete zieht. „Barocker Körper, am liebsten in Öl,“ ergänze ich. Da zieht er die Schultern hoch: „Damit kann ich nicht dienen. Aber suchen Sie doch mal die Regale durch!“

Weiß Gott, ich suche. Es gibt große Tafeln mit zwei weißen Strichen. Es gibt ein fotorealistisches Stück Männerbrust (ich schiebe es erschrocken zurück). Es gibt eine weiße Fläche, die unten mit dem Wort „Sichtweite“ bedruckt ist. Ich aber denke an die kranken Rücken in der taz- Redaktion.

Da zieht Herr Patz ein übergroßes Foto hervor, zwei geradezu nackte Wesen in scheinbar eindeutiger, in Wirklichkeit aber vieldeutiger Pose. Ein Jürgen Klauke! Ein Foto aus einer sogar rituellen Performance. Unter uns: eine Häßlichkeit. Schweren Herzens sage ich ja, als Dreingabe gibt's noch ein jugendstiliges Mädchen in Bunt dazu. „Das bringt ein bißchen Farbe ins Büro,“ verspricht Herr Patz.

Offenbar ist Erotik ausgegangen. Stellt Herr Patz zur eigenen Überraschung fest. Daß dieses Genre so beliebt ist, entging ihm bisher glatt. Eher kennt er schon die Frage nach richtig wertvoller Kunst. Die ist ja rar in Bremen, wo in diesem Jahr die Graphothek gerade für 6.000 Mark Neues eingekaufen darf. So muß halt vieles aus der Sozialen Künstlerförderung kommen, wo junge Hoffnungsvolle gegen Geld für den Staat arbeiten dürfen. Und der gibt die Bilder, sofern die Kantenlänge einen Meter nicht überschreitet, an die Graphothek weiter. Aber halt! Herr Patz lenkt meinen Blick auf ein Bild in seinem Arbeitszimmer, „ein Richard Hamilton, kostete damals 4.500 Mark.“ Was der heute wert ist, darf ich gar nicht weitersagen, es könnte die Falschen anlocken.

Und auch den Hamilton kann man, so man wagt, etwas von Herrn Patzens Bürowand wegzuleihen, mitnehmen. Bei diesen Werten setzt es aber zunächst ein Privatissimum mit dem Chef, der einem ins Gewissen redet, sorgfältig zu sein. Denn letztlich — und das verschreckt manche Kecken — trägt der Entleiher das volle Risiko, oder seine Haftpflichtversicherung. Oder seine Hausratversicherung. Und da gilt mitnichten der Kaufpreis, sondern der aktuelle Marktwert. Aber den darf ich ja nicht sagen.

Herr Patz belehrt mich wie jeden anderen: keine direkte Sonne! Nicht über die Heizung hängen! Mindestens Schraubhaken und Dübel, besser Bilderleiste und Nylonfaden! Und mit dem Fahrrad transportieren: Oh, oh, da rät er ab. Ich bezahle acht Mark für das angefangene Jahr, dafür darf ich bis zum Jahresende je vier Bilder maximal 16 Wochen ausleihen. Die Bilder kommen in Kartons mit Griff, jedes in seinen eigenen. Und tschüß!

Einfach ist das Bilderleihen nicht. Natürlich fahre ich mit dem Fahrrad, und der Arm wird lang und länger, das müssen glatt 20 Kilo sein. Der Wind fährt in die Großformate wie in ein Segel. Gottlob regnet es nicht. In der Firma ist natürlich kein Schlagbohrer zur Hand, und glaube niemand, für solch einen ästhetischen Vorstoß gäbe es Zuwendung vom Kollegium... Mut und Tatkraft gehören auch heute noch dazu, wenn man sich zu moderner Kunst bekennt.

Ich bin ja jetzt ein alter Leihhase. Hier also noch ein Alter- Leihhasen-Tip: Da dauernd 60-70 Pporzent der Kunstwerke ausgeliehen sind und man davon ausgehen muß, daß also immer das Beste irgendwo unterwegs ist, empfiehlt sich Vorbestellung. Aber lassen Sie die Finger von der Pop-Art, die in bemerkenswerter Qualität und Quantität in der Graphothek vorkommt: Darauf habe ich schon ein Auge geworfen! Burkhard Straßmann

Die Graphothek in der Weserburg ist geöffnet Dienstag bis Freitag von 13 — 18 Uhr; Telefon: 3616920

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