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Schaufenstergestalterdämmerung

■ Hans-Georg Schriever-Abeln, seit 40 Jahren Schauwerbeleiter bei Karstadt, fürchtet um das Schaufenster an sich / Jubi-Ausstellung

In Wahrheit ist er ein alter Theatermacher. 40 Jahre lang hat er ein Stück nach dem andern herausgebracht, in 40 Szenen auf 40 Bühnen zugleich: Die Schaufenster von Karstadt zeigen, in immer neuen Variationen, das Drama von der Ware, die sich, bei Strafe ihres Untergangs, ein Leben und einen Platz unter uns suchen muß.

Hans-Georg Schriever- Abeln, Jahrgang '32, hat in seinen Jahrzehnten für Karstadt nichts ausgelassen, was dieser große Stoff an Möglichkeiten bietet; er hat Schlaghosen und Hängerkleidchen in aberwitzigen Pop- Art-Installationen auftreten lassen, er hat für lange Wochen Kaninchen hinter den Scheiben angesiedelt, und er hat seine eigenen Dekorateure verkleidet und in die Schaukästen abgeordnet, auf daß den Flaneuren draußen ein wenig schwindelig werde vor der Frage, was hier noch Puppe ist und was schon Mensch.

Der Presseclub im Schnoor zeigt jetzt auf Aberdutzenden bunter Fotos Schriever-Abelns Werk. Da sieht man Tableaus vom Land- und Gartenleben, bevölkert von brennscherenlockichten Mäderln und von sechs nimmermüd hoppelnden Kaninchen pro Fenster; da sieht man struppiges Tekknovolk, voller Ingrimm um höllisch grünliche Holographien gelagert; oder aber man läßt die Augen grasen in sanft verruchten Environments aus dem Jahre 1973, betitelt „Heimathafen Bremen“, wo die Puppen sehr hochhackig aus dem Zwielicht treten und lästerliche Minis anhaben.

Ja genau, fast hätte man schon vergessen, daß es ja doch um die Ware Kleidung ging letzten Endes. Es ist, als habe es den regieführenden Schauwerbeleiter zeitlebens ein wenig beengt, daß die Hauptrollen in seinem Theater immer schon von der Direktion besetzt worden sind: mit den neuesten Jeans, der Herrenhemdenherbstmode oder einem teuren Ensemble Naturkosmetik.

Schriever-Abelns Sendung hingegen war es eher, die Innenstadt zu beleben, sich aus den gequirlten Massen ein Publikum zu bannen. Einmal kam es zum offenen Konflikt mit den Verwertungsinteressen des Karstadt- Kapitals. Da war er für eine Folge seiner jährlichen Weihnachtsserie auf „Berufe“ verfallen, „die an Weihnachten arbeiten müssen“. In jedem Fenster sah man also einen Ärmsten, und plötzlich stand man vor einem Krankenzimmer samt Schwester und einem praktisch blutbesudelten Patienten: „Das mußte sofort wieder weg, nicht wahr, Herr Becker“, sagte gestern Schriever-Abeln mit Süffisanz bei der Eröffnung im Presseclub.

Er ist nun einmal einer gewissen Melancholie verfallen im Laufe seines Wirkens: Als er damals 1966 in die Bremer Filiale berufen wurde, ging man noch regelrecht Schaufensterbummeln nach dem Kino; da sah man noch prächtige Exterieurs, mit denen die Warenwelt ihren Ruhm mehrte. Heute reißt sich das Fernsehen die größten Stücke aus den Werbeetats; selbst die Printmedien sackeln schon mehr ein als der gute alte Schaufenstergestalter; derzeit im Verhältnis sieben zu drei, und es wird immer schlimmer. „Wehe“, rief Schriever-Abeln, „wehe der City, deren Schaufenster einmal dunkel bleiben!“

Früher einmal war das Schaufenster an sich geradezu die Zentralmetapher des Kapitalismus. Heute verzichten die ersten

Schriever-Abeln bei der EröffnungFoto: Holzapfel

Häuser schon ganz auf ihre Schaukästen, weil es sich nicht mehr auszahlt; die gewonnene Fläche wird zum Verkaufen genutzt. Schriever-Abeln war es vergönnt, aus Ramsch und Kitsch und Kunst die Endzeit zu gestalten, das sammelsurische Panoptikum.

„Panoptikum“ hieß denn auch 1978 ein Schaufensterzyklus, in dem der Schauwerbebegriff zu sich selber fand: Totenköpfe und Spiegelvitrinen, wilde Männer mit abben Armen, Tänzerpüppchen aus Afrika, alles durcheinander und mittendrin durchaus Kleider mit Preisschildchen. Manchmal drohte das Medium Schaufenster sich schon wieder aufzulösen in ein universelles Magazin für Bummelanten: etwa wenn sich wieder mal Gastbeiträger in den Fenstern präsentieren dürfen wie

hierhin bitte den

grauhaarigen Mann vor

der Fototafel

neulich die Visionäre einer bre- mischen Philharmonie. Die Serie über „Jugend forscht“ legitimierte Schriever-Abeln dann schon wieder, indem er seine Puppen mit Karstadt-Forschermontur ausstattete.

Viele Zyklen machten Trends aus der Kunst dingfest: Die Pop- Art hatte große Tage bei Karstadt. Man sah serielle Nikolausköpfe oder Herrensocken; ein Fenster, rätselschwer mit „Herrenbelichtung“ betitelt, zeigte Roboterköppe vor Glühbirnenwänden, und lebende Dekorateure tanzten zwischen riesigen Elektrosteckern den „Jeanslook 1977“ vor. So stahl sich, als Mitglied in diesem Theaterensemble, die Ware vielleicht ein letztes Mal ins Leben zurück. Manfred Dworschak

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