piwik no script img

Kreis, Punkt, Punkt und Strich Von Andrea Böhm

Charles J. Hearn ist Strafrichter in Harris County, Texas. 62 Jahre alt. Nett. Väterlich. Einer, der sich zu den wiedergeborenen Christen zählt und nach der Urteilsverkündung schon mal mit dem Angeklagten betet, bevor dieser für ein paar Jahre in der Haftanstalt verschwindet. Charles Hearn findet, daß viel zu viele Menschen mit grimmigen Gesichtern herumlaufen. Weil er davon überzeugt ist, ein glücklicher Mensch zu sein, möchte er anderen das Leben etwas leichter machen – und den Tod.

Euer Ehren Charles Hearn unterzeichnet alle Urteile und Bescheide nicht nur mit seinem Namen, sondern fügt als Gratisleistung immer noch einen „Smiley“ hinzu: Kreis, Punkt, Punkt und Strich, fertig ist das lächelnde Gesicht. In den Genuß dieses Smileys kam vor ein paar Wochen auch Robert Nelson Drew. Den hatte er bereits verurteilt – und zwar zum Tode durch tödliche Injektion. Euer Ehren Charles Hearn hatte lediglich noch den Hinrichtungsbefehl auszustellen – wie immer mit einem versöhnlichen, aufheiternden Abschluß. Das liest sich dann folgendermaßen: „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mit diesem Schreiben Ihr Hinrichtungstermin auf den 14. Oktober 1993 festgelegt wird. Mit freundlichen Grüßen, Richter Charles Hearn.“ Dann folgt, natürlich, der kleine, von Hand gezeichnete Smiley.

Gut möglich, daß der Richter dadurch einfach verhindern wollte, daß nun noch ein Mensch mit grimmigem Gesicht herumläuft. Robert Nelson Drew jedenfalls hielt diese Art des Grußes von seinem gottesgläubigen Henker für einen Zynismus ohnegleichen. Sein Anwalt will nun ein neues Verfahren beantragen, weil ein Richter mit solcher Kaltschnäuzigkeit keinem Prozeß vorsitzen dürfe, bei dem es um Leben oder Tod des Angeklagten geht. Womit er wiederum dem in den USA gern geglaubten Vorurteil Vorschub leisten wird, daß Rechtsanwälte wegen jeder Lappalie Einspruch einlegen und damit dem Steuerzahler auf der Tasche liegen.

Euer Ehren Charles Hearn will unterdessen gar nicht verstehen, was die ganze Aufregung soll. Schließlich gehört der kleine Smiley seit Jahren zu seiner ganz persönlichen Note. Damit hat er die Unterschrift auf seinem Führerschein verziert, damit signiert er alle Schecks, alle Weihnachtsbriefe an die Enkel und eben auch alle Gerichtsurteile. Und überhaupt hätte sich niemand aufgeregt, wenn das Schreiben an Robert Nelson Drew ein Hinrichtungsaufschub statt eines Hinrichtungsbefehls gewesen wäre.

Das Problem ist in diesem Fall nicht nur Euer Ehren Charles Hearn und sein kaum noch nachvollziehbares Maß an unchristlichem Zynismus. Sondern daß sich im gesamten Bundesstaat Texas niemand mehr über die Todesstrafe aufregt. Seit Einführung der Todesspritze gilt sie als „human“ und „effektiv“. Soll heißen: Nicht einmal die Lapalie eines Justizirrtums reicht in Texas zwangsläufig aus, um Todesurteile aufzuheben. Für zum Tode Verurteilte, die neues Beweismaterial nicht innerhalb von 30 Tagen nach Urteilsverkündung vorbringen können, gilt: Pech gehabt. Für solche Fälle hat Euer Ehren Charles Hearn dann immer noch ein „God bless you“ auf den Lippen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen