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“Sozialstaat wird zum Kontrollstaat“

■ taz-Gespräch mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, Dr. Stefan Walz

Vor 15 Jahren erblickte in Bremen der institutionalisierte Datenschutz das Licht der Welt. Gestern feierte man den Geburtstag in der Bremerhavener Dienststelle des Landesbeauftragten für den Datenschutz, Dr. Stefan Walz,

taz: 15 Jahre, das ist das Alter, in dem man erwachsen wird. Gilt das für Ihr Amt auch?

Dr. Stefan Walz:Der Datenschutz hat in der Zeit sicher Höhen und Tiefen erlebt. Der Höhepunkt für die Sicherung des informationellen Selbstbestimmungsrechts war das Volkszählungsurteil von 1983. Seitdem kennen die Leute ihre Rechte besser und versuchen, sie auch geltend zu machen.

Negative Entwicklungen sehen wir vor allem in jüngster Zeit. Der Sozialstaat droht zum Kontrollstaat zu werden. Wir laufen Gefahr, auch im Datenschutz eine Zweidrittel-Gesellschaft zu bekommen. Jeder, der gesetzliche Ansprüche auf Sozialleistung geltend macht, wird als potentieller Betrüger eingestuft und mit seinen Daten durch die verschiedensten Datensammlungen durchgerastert. Hier müssen wir deutliche Stoppzeichen aufstellen.

Werden die denn auch beachtet?

In letzter Zeit haben wir Niederlagen einstecken müssen. Das Solidarpaktgesetz ermöglicht, Daten von Sozialämtern, Stadtwerken, KFZ-Zulassungsstellen, Renten- und Krankenversicherung miteinander abzugleichen, alles unter Berufung auf den in gewissem Umfang sicherlich auch vorhandenen Leistungsmißbrauch. Insgesamt aber ist die Kontrolldichte in den anderen Bereichen der Gesellschaft, ich nenne nur den Bereich der Steuern, durchaus geringer.

Die Privatwirtschaft sammelt nicht mehr Daten als der Staat?

Hier sind die Kontrollrechte mit der Novellierung des Bundesdatenschutz-Gesetzes 1990 verstärkt worden. Ich sehe hier auch einen Schwerpunkt meiner Arbeit. Wir haben in der Privatwirtschaft eine Vielzahl von Datensammlungen, die ungleich sensitiver sind als viele der Dateien im öffentlichen Bereich. Ich nenne als Beispielnur Kreditinformationssysteme oder Lebensversicherungen.

Hat die Privatwirtschaft ein Eigeninteresse am Datenschutz oder laufen Sie dort eher auf?

Teils, teils. Das Eigeninteresse besteht zum einen darin, die Datenhaltung zu rationalisieren, also nicht Doppelinformationen zu führen. Auf der anderen Seite besteht umgekehrt das Interesse, Daten nach allen Richtungen hin, insbesondere in den Bereich der Werbungs-, Markt- und Meinungsforschung auszuwerten. Und das widerspricht Prinzipien der Zweckbindung und auch der Kundenfreundlichkeit, weil der Kunde diese Nutzung seiner Daten nicht erwartet, wenn er einen Kaufvertrag abschließt oder einen Bankkredit aufnimmt.

Geburtstage sind Tage, an denen man sich etwas wünschen darf. Was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir in Bremen von der Novellierung des Bremischen Datenschutzgesetzes, die ja ansteht, zunächst eine Verstärkung der Bürgerrechte. Beispielsweise soll ein Schadensersatzanspruch eingeführt werden. Zum Zweiten: Eine Stärkung der Unabhängigkeit des Landesbeauftragten für den Datenschutz, der nur mit dieser kritischen Distanz zu Verwaltung und Wirtschaft für den Bürger glaubhaft seine Rolle als Institution auch des Grundrechtsschutzes ausfüllen kann.

Der Justizsenator als Senatskommissar für den Datenschutz hat Ihnen eine Stärkung in Aussicht gestellt. Was muß man sich darunter vorstellen?

Zum einen soll er das Recht bekommen, im Parlament zu seinem Jahresbericht selbst Schwerpunkte und Entwicklungslinien vorzustellen. Das ist so in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben. Ich wünsche mir auch mehr Einfluß bei der Auswahl der Mitarbeiter des Landesbeauftragten und auch die Aufwertung des Parlamentsausschusses für Datenschutz, also eine Verbindung der parlamentarischen mit der institutionellen Kontrolle durch den Landesbeauftragten. Fragen: mad

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