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Der künstlerische Prozeß wirkt heilend

Im Kölner psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge betreuen TherapeutInnen in erster Linie Gefolterte / Malerei und Tanz sollen den Folteropfern helfen, sich im Alltag wieder zurechtzufinden  ■ Aus Köln Myriam Schönecker

Im Vordergrund Berge, weite Flächen, lichte Farben. Darüber ein dunkler, wirrer Himmel, der sich immer weiter über die Landschaft schiebt, sie gleichsam auffrißt. Oben und unten – das Gemälde scheint in zwei Teile zu zerfallen. Doch der Eindruck trügt. Denn das Bedrohliche des Himmels spiegelt sich in dunklen Szenen der Gewalt zwischen den Hügeln wider: Hinrichtung, Blutvergießen, ein Gefängnis. Dazu links ein überproportional großes Schild mit der Aufschrift „Zoll“. „Mein Lebenslauf“ heißt das Thema des Aquarells, und gemalt hat es ein iranischer Flüchtling. Es zeigt Stationen aus seiner eigenen Geschichte: seinen Geburtsort in einem iranischen Gebirge, Hinrichtungen, Demonstrationen, das Gefängnis, in dem er gefoltert wurde, seine Flucht nach Deutschland, wo er sich verliebte, und seinen gegenwärtigen Seelenzustand, verworren, bedrückend wie der Himmel.

Der Künstler ist unbekannt, der Wert des Bildes, bemessen in klingender Münze, wahrscheinlich gering. Es hängt nicht in irgendeiner Galerie, sondern im psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Köln. Dort ist es auch entstanden, im Rahmen der Kunsttherapie- Gruppe. Diese fortlaufende Therapiegruppe, in der sich Flüchtlinge und Deutsche auf künstlerischem Weg mit ihrem Leben auseinandersetzen, ist charakteristisch für die Arbeit des Zentrums. Hier werden Flüchtlinge durch ausgebildete Psychologen therapeutisch betreut. Damit ist das Kölner Zentrum, das aus einem Projekt des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) hervorging und 1982 vom Caritas- Verband als Beratungsstelle für Asylbewerber eröffnet wurde, eines von insgesamt sechs seiner Art in Deutschland. Weitere psychotherapeutische Zentren für Flüchtlinge existieren in Düsseldorf, Frankfurt, Bremen und zwei in Berlin. Das Kölner Zentrum wird zu je einem Drittel vom UNHCR, vom Bundesministerium für Familie sowie gemeinsam von Kölner Erzbistum und der Caritas unterstützt.

Vor allem Flüchtlingen, die Opfer von Folter und Mißhandlung wurden und nun unter schwersten Traumata leiden, widmet sich das Zentrum. Im Schnitt dauert eine Langzeittherapie fast zwei Jahre. Erfolgreich ist sie, wenn die wichtigsten psychosomatischen Beschwerden verklungen und keine Psychiatrie- und Klinikaufenthalte mehr notwendig sind. 150 Flüchtlinge können jährlich therapeutisch in der Kölner Norbertstraße betreut werden, 500 in der Sozial- und Rechtsberatung. Und die Warteliste ist lang. Aus der Psychiatrie und aus Gefängnissen, über Exilorganisationen, Ärzte, Rechtsanwälte und Jugendämter werden sie ans Zentrum überwiesen, eine Art letztes Auffangnetz, wenn sie psychisch und physisch am Ende sind.

Drei Viertel aller gefolterten Flüchtlinge haben, so die Leiterin des Zentrums, Brigitte Brand, schwerwiegende psychische Probleme, die eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung erfordern. Schlafstörungen, schwere Angstzustände, Depressionen, Selbstmordvorstellungen. Zwei Hauptaufgaben sieht Brigitte Brand deshalb für ihre Arbeit: „Zum einen die Aufarbeitung dieser Traumata, zum anderen der Versuch, Verhältnisse zu schaffen, die zur Heilung führen.“ Wobei die politischen Verhältnisse der Bundesrepublik dies sicherlich nicht leisten: „Unmenschliche Abschreckungspolitik“, meint Brand nur, und ihre Stimme bekommt einen resignierten Unterton. Um so mehr begreift die Diplom-Psychologin ihre Aufgabe als Möglichkeit, Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu nehmen. Der Abbau von Vorurteilen und Kontaktbarrieren sind ihr wichtig, zwischen Flüchtlingen und Deutschen – nicht zufällig nehmen an der Kunsttherapie-Gruppe Flüchtlinge und Deutsche teil –, aber auch zwischen Flüchtlingen verschiedenster Herkunft. Entsprechend sind die Angebote des Bereichs Sozialarbeit. Eine internationale Kindergruppe, Volleyball für Ausländer und der internationale Gesprächskreis für Flüchtlingsfrauen.

Treffpunkt an diesem Vormittag ist der „Colonius“, Fernsehturm und Wahrzeichen der Stadt Köln. Rund ein Dutzend Frauen und drei Kinder kommen zusammen, viele von ihnen trauen sich kaum runterzugucken, obwohl die ganze Front verglast ist: Höhenangst. Bei einer Tasse Kaffee erzählen sie von den größeren Kindern, den Problemen mit den Ämtern und natürlich auch von Rezepten, diesmal von der Zubereitung eritreischer Pfannkuchen. „Sieht banal aus, was hier passiert“, gesteht Lisa Schleert, die mit der türkischen Psychologin Hamadiyie Ünal den Frauentreff leitet. Doch der internationale Gesprächskreis ist kein Kaffeeklatsch deutscher Kegelschwestern. Die Lebenserfahrungen einzelner Frauen schwingen im Gespräch immer mit. Zum Beispiel die einer iranischen Frau, die mit der Familie aus ihrer Heimat fliehen mußte, weil ihr Mann als politischer Oppositioneller verfolgt wurde. Seit über einem Jahr lebt sie in Deutschland, zur Zeit mit ihren zwei Kindern in einer Pension. Ihr Mann ist anerkannter Asylbewerber, sie nicht. Sie hat in Deutschland bereits zwei Operationen hinter sich. Trotzdem werde sie blind werden, sagen die Ärzte. Warum sie in die Frauengruppe kommt? „Um mal die Probleme zu vergessen“, sagt sie und wirkt angespannt.

Erfahrungen, die so oder ähnlich viele der Frauen gemacht haben. Das mag verbinden, und doch: Im großen Kreis wird selten wirklich offen aus dem eigenen Leben erzählt. Wo die Erlebnisse der Vergangenheit zu verletzend waren und die Fremdsprache Deutsch die Verständigung schwermacht, stößt die Sozialarbeit an Grenzen. Ähnliches gilt auch für die therapeutische Betreuung im Zentrum. Die „klassische“ Gesprächstherapie für Flüchtlinge und Folteropfer hilft häufig nicht weiter. Zwar bietet das Zentrum mit einer kroatischen, einer iranischen und einer türkischen Psychotherapeutin einigen KlientInnen die Möglichkeit, Therapie in der Muttersprache zu machen. Dennoch bedeutet es gerade für Gefolterte eine besondere Überwindung, einem Fremden aus einer völlig anderen Kultur die eigenen Erlebnisse anzuvertrauen. Das psychosoziale Zentrum bietet deshalb auch körperorientierte Therapien an, die nonverbal mit Hilfe von Atem- und Entspannungsübungen, Bewegung und Tanz an verschüttete Gefühle ranzukommen versuchen, die in der eher intellektuellen Gesprächstherapie blockiert blieben.

Angelika Wieschhues, angehende Tanztherapeutin im Zentrum, arbeitete auf diese Art mit einer Klientin, die mit der Falaka, also mit Schlägen auf die Fußsohlen, gefoltert wurde: „Ihre Füße waren eiskalt. Um sie aufzuwärmen und zu sensibilisieren, schlug ich ihr vor, mit Hilfe eines Tennisballes verschiedene Fußbereiche zu massieren. Darauf trat sie heftig und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Ball ein.“ Ausgelöst durch eine Körperübung durchlebte die Klientin noch einmal die Mißhandlungen an ihrem Körper. „Da die Folterer nicht mehr real zur Verfügung stehen und sie keinen körperlichen Widerstand ausdrücken kann, benutzt sie den Ball als symbolischen Feind und versucht ihn zu zertreten“, erläutert die Therapeutin. Eine Gratwanderung. Zumal ein Hauptproblem der therapeutischen Arbeit mit Folteropfern darin besteht, daß bei psychischer Folter unter anderem ähnliche methodische Ansätze verfolgt werden wie in der Psychotherapie – natürlich unter anderen Vorzeichen. Hypnose ist so eine Methode. Aber auch Massagen, eigentlich zum „Guttun“ gedacht, können an Folterpraktiken erinnern. So ist es etwa bei der Falaka- Folter üblich, so lange auf die Füße zu schlagen, bis sie dick werden und Äderchen platzen. Danach werden die Füße mit Wasser gekühlt und eben auch massiert – allerdings, um anschließend mit der Folter weiterzumachen.

Im Kunstraum könnte man eine Stecknadel fallen hören. Nur ab und zu das klingende Geräusch eines Pinsels, der im Glas ausgewaschen wird. Das Thema „Erde“ steht auf dem Programm. Jeder Teilnehmer soll die eigene Heimaterde darstellen. Ein afghanischer Flüchtling erinnert sich in rotbraunen Tönen mit dunklen Akzenten an den Boden seiner Heimat. Auf einem anderen Bild entsteht trockene Erde, gelb-sandig. Interpretiert werden die Bilder nicht. Schwarze Erde ist einfach schwarz und wird nicht als Hinweis auf Depression ausgelegt. Damit folgt das therapeutische Konzept von Elise Bittenbinder und Thomas Egelkamp, den LeiterInnen der Kunst-Gruppe, einem amerikanischen Ansatz der Kunsttherapie. „Der künstlerische Prozeß wirkt heilend, ob darüber gesprochen wird oder nicht.“ Es komme darauf an, ein Bild „von innen nach außen zu bringen“, formuliert Elise Bittenbinder ihr Ziel. Einige Mitglieder der Gruppe, erzählt sie, und es klingt ein wenig stolz, würden sich selbst gar als „Künstler“ und nicht als „therapiert“ betrachten. Ein Flüchtling besitzt mittlerweile sogar ein eigenes Atelier.

Ein Künstler wider Willen ist auch Harminder Singh geworden. Eigentlich habe er nämlich überhaupt kein Interesse an der Malerei gehabt, sagt der Inder und grinst. Aber im Laufe der Zeit habe er in der Gruppe viel gelernt, und Spaß mache es auch. Das würde locker klingen, wären da nicht diese Sprachstörungen. Immer wieder stockt der indische Sikh mitten im Erzählfluß und bekommt kein Wort raus. Die Worte bleiben ihm buchstäblich im Hals stecken. Seine Konzentrations- und Sprechstörungen sind die Folge von Verfolgung und Mißhandlung, unter denen der strenggläubige Sikh in seinem Heimatland sechs Jahre lang zu leiden hatte. Als Harminder Singh das erste Mal inhaftiert wurde, war er 15 Jahre alt. Das war 1982, und der damalige Student wollte in Delhi die ASEAN-Spiele besuchen. Weil er verdächtigt wurde, eine zeitgleich stattfindende Sikh-Protestaktion zu besuchen, verhaftete die Polizei Harminder und mißhandelte ihn. Er wurde mit Fäusten und Eisenstangen gefoltert. Der Turban wurde ihm weggerissen – eine tiefe Demütigung, da Sikhs sich gegenüber Andersgläubigen nie ohne Turban zeigen dürfen. Nach diesem „Schlüsselerlebnis“ begann er, politisch aktiv zu werden, organisierte Boykotte und Protestaktionen. Die physischen und psychischen Folterungen der nächsten Jahre: Harminder wurde mehrfach inhaftiert, geschlagen, an den Haaren an der Decke aufgehängt, ihm wurden die Haare geschnitten – ein Affront gegen den Sikh, denn der Glaube verbietet ihm das Schneiden von Bart und Kopfhaar. Außerdem drohte man ihm damit, seine Familie umzubringen. 1988 floh Harminder über Malta nach Deutschland. Fotos zeigen ihn ohne Turban: Inmitten seiner langen blauschwarzen Haare eine kreisrunde kahle Stelle. Seit der Folter wachsen die Haare nicht mehr nach.

Seine Sprachprobleme wären in den drei Jahren, in denen er in der Kunsttherapie-Gruppe ist, schon sehr viel besser, daran läßt Harminder keinen Zweifel. Die Gruppe ist eine Art Familie für Harminder Singh, der nach fünf Jahren in Deutschland immer noch nicht als asylberechtigt anerkannt ist. Kürzlich habe er übrigens ein Bild mit lauter Sonnenblumen gemalt, sagt er stolz. Sonnenblumen, wie es sie daheim in Indien auf den Feldern seiner Eltern gegeben hat.

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