: Spannungen zwischen Libanons Schiiten
Die von Israel geforderte Entwaffnung der Hisbollah-Milizen beschwört die Gefahr eines schweren innerlibanesischen Konfliktes herauf / Machtprobe zwischen Hisbollah und Amal ■ Aus Beirut Khalil Abied
Die libanesische Armee ist dabei, die letzten Vorbereitungen für ihr Einrücken in den Südlibanon zu treffen. Die Beiruter Regierung verhandelt in diesen Tagen mit den Vereinten Nationen über die Modalitäten einer Ablösung der UN- Truppen im Süden des Landes durch eigene Einheiten. Schon einmal, 1992, hat es in fünf Dörfern bei der Stadt Tyrus einen solchen „Austausch“ der bewaffneten Verbände gegeben. Die UNIFIL- Truppen stehen seit 1978 im Südlibanon.
Die israelische Regierung hat es begrüßt, daß Beirut seine Truppen im Süden stationieren will. In Jerusalem geht man davon aus, daß damit auch die Entwaffnung und Auflösung der schiitischen Hisbollah-Milizen verbunden ist, von denen der Widerstand gegen die israelischen Besatzer im äußersten Süden des Libanon und die Angriffe auf Nordisrael hauptsächlich ausgehen. Doch der libanesische Präsident Rafiq Al-Hariri ist skeptisch, was seine Armee im Süden des Landes letztlich ausrichten kann: „Ich kann die Aktivitäten der Widerstandskämpfer gegen die israelische Besatzung nicht verhindern. Das würde zu einem neuen Bürgerkrieg im Libanon führen“, erklärte er gestern.
Ein Konflikt um die Entwaffnung der schiitischen Milizen würde sich nicht nur zwischen Hisbollah und libanesischer Regierung abspielen. Auch die Rivalin der Hisbollah, die ebenfalls schiitische Amal-Bewegung wäre involviert. Auch sie unterhält Milizen im Süden, zugleich nehmen ihre Politiker in Beirut aber zur Frage des bewaffneten Widerstandes gegen Israel eine zurückhaltendere Position ein als Hisbollah.
Der „Rückkehrermarsch“ der Flüchtlinge, der am Dienstag vor allem auf Initiative von Amal in Beirut organisiert wurde, geriet denn auch zu einer Demonstration politischer Macht. „Es war der Tag von Amal und Nabih Berri“, kommentierten die meisten libanesischen Zeitungen den Marsch Richtung Südlibanon, dem sich Tausende angeschlossen hatten. „Es ist damit zu rechnen, daß es jetzt zu einer Machtprobe zwischen Amal und Hisbollah kommt.“
Die Rede, die Amal-Führer Berri am gleichen Tage vor der Presse hielt, spricht für diese Interpretation: „Dieser verrückte Krieg wird der letzte sein, den andere auf unserem Boden austragen. Ich warne vor Versuchen, eine Fehde zwischen den Schiiten des Südlibanon anzuzetteln.“ Berris Botschaft lautete: Wenn irgendeine Gruppierung in der Lage ist, die Rückkehr der Flüchtlinge in den Südlibanon und einen Wiederaufbau zu organisieren, dann ist es Amal. Hisbollah habe die Flüchtlinge durch unvorsichtige Provokation Israels in diese desolate Lage gebracht.
Berri will die Gunst der Stunde nutzen, um die schiitische „Bruderpartei“ zu schwächen. Er unterstützt das Einrücken der libanesischen Armee in den Südlibanon, von der auch er hofft, daß sie zu einer militärischen Entmachtung der Hisbollah-Milizen führen wird. Außerdem soll die Armee eine bewaffnete Konfrontation zwischen den Militanten von Hisbollah und Amal verhindern. Zweitens fordert Berri, daß die Verteilung jeglicher Wiederaufbauhilfe durch die libanesische Armee erfolgt, damit Hisbollah ihre politische Position nicht mit Hilfe der Finanzmittel aus dem Iran ausbauen kann.
Ein führender Hisbollah-Funktionär hielt in einem Interview dagegen: „Das wichtigste Ziel der israelischen Angriffe war es, eine Konfrontation zwischen Hisbollah und der Regierung in Beirut herbeizuführen. Israel hoffte auf einen erneuten Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges: Hisbollah- Kämpfer gegen libanesische Soldaten, Amal gegen Hisbollah und so weiter. In diese Falle dürfen wir nicht gehen. Aber wir werden niemandem erlauben, uns zu entwaffnen.“
Erste Anzeichen für einen Ausbruch einer „Fehde zwischen den Schiiten“ gibt es bereits: Vorgestern kam es im Südlibanon zu kleineren Zusammenstößen zwischen Hisbollah- und Amal-Milizen. Die libanesische Armee intervenierte. Politiker aller Parteien stellen jetzt besorgt die Frage: „Was kommt als Nächstes auf uns zu?“ Ein Politiker in Beirut beschrieb den israelischen Angriff als Vorbereitungsmaßnahme für die nächste Runde der Nahostgespräche. „Dieser Krieg war eine Botschaft an uns. Entweder ihr macht Konzessionen oder es wartet eine ,militärische Lösung‘ auf euch.“ Es sei die gleiche Methode, die Israel gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten schon lange anwende: Politik der eisernen Faust oder Vertreibung. „Sollten die USA und Israel darauf setzen“, sagte er, „die arabischen Staaten durch militärischen Druck zu Zugeständnissen zu zwingen, wird das vor allem dazu führen, daß die arabischen Regimes ihre Glaubwürdigkeit ganz einbüßen und radikale Gruppierungen noch mehr Zulauf erhalten.“
Im Libanon hat man Angst, daß der Waffenstillstand mit Israel nur bis zum Ende der nächsten Nahostrunde halten wird.
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