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New Orleans in Saint-Germain

Amerikanischer Nachkriegsjazz in Paris: Eine Vogue-CD-Serie recycelt die Anfangszeit.  ■ Von Christian Broecking

Als Duke Ellington 1939 von einer Europa-Tour in die Staaten zurückkehrte, war er guter Dinge. Europa sei eine andere Welt, sagte er: hingehen wo man will, sprechen mit wem man will, tun was man will – kaum zu glauben. „Wenn du dein Leben lang Hot dogs gegessen hast und plötzlich wird dir Kaviar offeriert, zweifelst du daran, was wahr ist.“

Ob Sidney Bechet, Claude Hopkins, Doc Cheatham, Coleman Hawkins oder Louis Armstrong – viele Afroamerikaner hatten Paris zwischen den Kriegen kennen- und schätzengelernt: als kulturelle Sphäre, die mit ihrer gelebten Toleranz und entwickelten Genußkultur der segregationistischen daheim so fern war. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte der aufkommende Flugtourismus die schnelle Atlantiküberquerung. Und so kamen sie, die Expatriates oder Exiles, wie die amerikanischen Jazzmusiker genannt wurden, nach Paris, und viele blieben für eine Weile. Das Pariser Jazz-Zentrum hatte sich von Montmaratre nach Saint-Germain-des-Prés verlagert. Als Harlem in Montmartre und als New Orleans in Saint-Germain hatte der französische „Jazzpapst“ Hugues Panassié einst sein Hot Club de France-Paris des „echten Jazz“ beschrieben.

Für Panassié war Bebop nämlich kein „echter Jazz“, keine schwarze Musik mehr, sondern letztlich eine Auswirkung des Rassismus: Zu lange hatte man den Schwarzen in Amerika eingeredet, ihre krausen Haare und dicken Lippen seien Zeichen der Minderwertigkeit, daß die verirrten Bebopper – Panassié zufolge – nun glaubten, indem sie eine steife, gesetzte und freudlose Haltung beim Spielen einnahmen, Seriosität und künstlerische Würde einklagen zu können. Die vermeintlich avantgardistische Musik habe sich jedoch lediglich im Schlepptau der europäischen verfangen, so der Papst. „Manche Bebop-Orchester engagierten sich sogar einen westindischen Bongospieler, dessen Gegenwart der Rhythmus-Gruppe minderwertige Exotik verlieh. Man gab dieser Musik die protzig- lächerliche Bezeichnung afro-kubanische Musik.“

Dann kamen Boris Vian, der „Bebop-Krieg“ und Dizzy Gillespies Orchestra in den Salle Pleyel, Paris am 20. Februar 1948. Siebzehn Musiker im europäischen Nachkriegswirrwarr, eine geplatzte Skandinavientournee ermöglicht den Abstecher nach Paris, und Zoll-Schikanen am Gare du Nord verzögern die angekündigte Anfangszeit um eine Dreiviertelstunde. Der Saal tobt, Boris Vian schreibt, der Bebop erobert Paris – trotz Panassié.

Das französische Label „Vogue“, 1948 von Charles Delaunay begründet und seit Anfang 1993 zu BMG (Bertelsmann) gehörig, hat jetzt ein Pariser Gillespie-Konzert jener Tage veröffentlicht – im Rahmen ihrer CD-Serie „American Jazz in Paris“. Nichts ist „remastered“, nichts digitalisiert, der Sound so „authentisch“, daß er kaum noch Sound zu nennen ist: billig, verschwommen, ungeschliffen, klappernd. Und doch: Der Jazzhistoriker Dan Morgenstern kommentiert den Re-Issue via CD – und das zu Recht – als einmalige Hörchance, die Vielfalt des Jazz zu bestaunen, wie er sich auf kaum wiederholbare Weise auch im Nachkriegs- Paris ereignete. Es hat also wenig mit Nostalgie zu tun, wenn man die Gelegenheit nutzt: Neunzehn CDs jener Vogue-Mid-Price-Serie sind bereits erschienen, zehn weitere folgen im September.

Was etwa James Moody, Tadd Dameron oder Kenny Clarke eint, ist aber nicht nur, daß sie für Vogue spielten, sondern auch die Tatsache, daß sie im Laufe der Nachkriegsjahre als Mitglieder von Dizzys Orchestra nach Paris kamen – und dort blieben. Andere gingen gleich wieder, Thelonious Monk und Lionel Hampton zum Beispiel. Wieder andere, wie Mezz Mezzrow, kehrten zurück. Mezz, der „weiße Neger“, war der Star von Panassié. In seinem von Henry Miller goutierten Buch „Really the Blues“ (1946) hieß es, „um Jazz zu machen, muß man in den Baumwollfeldern geschwitzt oder Marihuana verkauft haben“. Boris Vian folgert, außerhalb des New-Orleans-Stils gibt es keinen Jazz, ergo: ein rechter Lump, dieser Mezzrow – „Lest Mezz, aber hört ihn euch nicht an!“

Vian hört Mezz 1953 und konstatiert, Mezz, der Weiße, habe sich zum Champion der schwarzen Rasse gekürt und überhäuft seine „Rassenbrüder“ mit Schimpf und Schande, wenn sie anders spielen als er. Mezz, der zweitklassige Amateur, der mittelmäßige Klarinettist, der grauenvolle Doktrinär. In „Les Temps Modernes“ (1948) schrieb Vian, daß das ganze Wiederaufleben des New-Orleans- Stils das Werk junger Weißer sei, denen zu drei Vierteln jegliche musikalische Kultur abgehe und die so fanatisch oder intolerant sind, wie es nur junge Analphabeten sein können. Alle Schwarzen stünden gegenwärtig hinter Charlie Parker, Dizzy Gillespie und den Modernen. Sein Pamphlet „Der Rassismus ist nicht tot!“ (1950) krönt Vian schließlich mit dem romantischen, von Projektionen überwucherten Rat, auf einen Vertreter der schwarzen Rasse zu setzen; sie sei nach dem Niedergang der gelben und der weißen die einzige Rasse auf der Welt, die der künstlerischen Welt noch neue, frische, ungegängelte und schließlich revolutionäre Kraft einhauchen könne: „Soll man die Weißen umbringen? Ganz sicher nicht! Aber wenn sie alle überraschend sterben könnten ...“

Die Zeit, da man die amerikanischen Jazzer nach Europa rief und hofierte, ist heute lang passé. Sie kamen, weil sie gefragt waren, weil sie musikalische Arbeit bekamen und künstlerischen Respekt und weil sie sich dem rassistischen Alltag und der Drogenprohibition daheim entziehen konnten. Die meisten blieben jedoch amerikanische Staatsbürger und wähnten sich als globale Dorfbewohner nicht so fern der Heimat wie vermutet.

„Jeder hat zwei Heimaten“, sagte der bekannteste Exilant der Jazzgeschichte, Sidney Bechet, „seine eigene und Frankreich.“ Bei Vogue ist jetzt ein Teil der Geschichte nachzuhören, die Begleitkommentare „Rundherum um Mitternacht“ und „Stolz und Vorurteile“ von Boris Vian gibt's beim Hannibal-Verlag zum Lesen.

American Jazz in Paris (Vogue/ BMG); bislang sind 19 Platten erschienen, 10 folgen im Herbst.

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