: „Wir treten auf der Stelle“
Heute tritt in Schwerin der parlamentarische Untersuchungsausschuß zur Affäre um die Mülldeponie Schönberg zusammen ■ Aus Hamburg Marco Carini
Noch tappt der Schönberg-Untersuchungsausschuß, der am heutigen Freitag zum sechstenmal zusammentritt, im dunkeln. Seine Aufgabe: er soll Indizien zusammentragen, die belegen, daß die Schönberg-Verträge zwischen dem mecklenburgischen Umweltministerium, der Treuhand und dem Müllkonzern des Lübecker Abfallhändlers Adolf Hilmers zum eindeutigen Nachteil des Landes abgeschlossen wurden – in vollem Bewußtsein aller Beteiligten.
Für Schlagzeilen sorgte der Ausschuß vergangene Woche auf einem Nebenkriegsschauplatz: Am Dienstag, dem 27. Juli, durchsuchte die Staatsanwaltschaft eine Kieler Rechtsanwaltskanzlei. Objekt der Begierde: die Handakten des Juristen und ehemaligen Landesvorsitzenden der FDP Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, der das Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern bei der Gestaltung der Schönberg- Verträge beriet.
Doch die Staatsanwaltschaft nahm die falschen Unterlagen mit und mußte sie nach wenigen Tagen wieder herausgeben. Während für heute eine Entscheidung des Kieler Amtsgerichts erwartet wird, ob die Aktenherausgabe durch die Androhung von Zwangsgeldern und einer Zwangshaft befördert werden soll, hat Kubicki Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Aktenherausgabe eingelegt. Das will in den nächsten Tagen entscheiden. Kubicki: „Wenn das Gericht die Beschwerde ablehnt, werden die Akten sofort an den Untersuchungsausschuß überstellt.“
Daß der Untersuchungsausschuß, der am 13. Mai seine Arbeit aufnahm, in den Handakten fündig wird, darf bezweifelt werden. Der Ausschußvorsitzende Rolf Eggert (SPD): „Ich glaube kaum, daß wir da etwas finden, was Kubicki belastet.“
Der Anwalt selbst hatte schon von sich aus die Akten zur Einsicht angeboten. Erst als die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Staatssekretär des mecklenburgischen Umweltministerium, Peter-Uwe Conrad, der zusammen mit Kubicki die Schönberg-Verhandlungen für die Landesregierung führte, Ermittlungen einleitete, zog Kubicki seine Zusage zurück: „Nun muß mich Conrad erst von meiner anwaltlichen Schweigepflicht entbinden.“ Das aber tat Conrad bislang nicht.
So stützt sich das parlamentarische Untersuchungsgremium vor allem auf ein Gutachten des Präsidenten des zuständigen Landungsrechnungshofes, Uwe Tannenberg. Tannenberg war bereits im April zu dem Schluß gekommen, durch die Schönberg-„Knebelverträge“ sei Mecklenburg-Vorpommern ein Schaden von 100 Millionen Mark entstanden. Aufgrund einer „miserablen Verhandlungsführung“ des Umweltministeriums habe das Land ohne Not das volle Altlastenrisiko von der Treuhand übernommen, während die Deponiegewinne größtenteils in die Taschen des Lübecker Müllmanns Hilmers flossen: „Die Deponie wird offenbar nicht vom Land, sondern von einem unkontrollierten Müllkartell kontrolliert.“
Doch daß Kubicki und Conrad bewußt Verträge zum Nachteil des Nord-Ost-Bundeslandes aushandelten, wird der Ausschuß kaum beweisen können. Die Akten des Umweltministeriums zu den Schönberg-Verhandlungen sind nach Ansicht des Ausschußvorsitzenden Rolf Eggert „unvollständig“. Es gehe da „kunterbunt durcheinander, über einige Vorgänge gibt es überhaupt nichts“. Angelika Gramkow, eine der beiden PDS/Linke-Liste-Vertreterinnen im Ausschuß: „Wir treten auf der Stelle.“
Wichtige Fakten, die eine Interessenkoalition nahelegen, sind ohnehin bekannt – nur justitiabel sind sie nicht. Die Schlüsselrolle spielt der Rechtsanwalt und ehemalige schleswig-holsteinische FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der das Umweltministerium für ein Spitzenhonorar von rund 860.000 Mark bei der Ausgestaltung der Schönberg- Verträge beriet. Mit dem Verhandlungsgegner Hilmer teilt Kubicki nicht nur das Parteibuch, er ist auch finanziell in dessen Geschäfte verwickelt. So fungiert er als stiller Gesellschafter der Lüneburger Haus- Grund- und Entwicklungsgesellschaft (HGE), einer hundertprozentigen Tochter der Hilmer-Firma Bautech GmbH. Kubicki: „Mandatsverhältnisse mit unterschiedlichen Kapitalbeteiligungen sind durchaus üblich, die Vermutung, ich hätte die Landesregierung deswegen schlecht beraten, ist abenteuerlich.“
Ebenfalls im Zwielicht: Der Staatssekretär des Umweltministeriums, Peter-Uwe Conrad, der die Schönberg-Verhandlungen für die Landesregierung führte. Conrad war als Ministeriumsmitarbeiter bereits in Schleswig-Holstein für die Transportgenehmigungen nach Schönberg verantwortlich. Seit Jahren ist er mit Adolf Hilmer bekannt, der bereits seit 1979 die Abfälle nach Schönberg vermakelt. Und in den Akten der Stasi tauchen Hinweise darauf auf, daß es aus dem Hause Hilmer 1983 Geldzuwendungen an Conrad gegeben hat, was dieser natürlich vehement bestreitet.
Conrad, der von Ministerpräsident Berndt Seite im März entlassen wurde, hat einen anderen Trumpf in der Hand. Er versuchte von der Treuhand im Sommer vergangenen Jahres die in Berlin ansässige Abfallwirtschafts- und Umweltservice-GmbH (AWUS) zu erwerben, die über 90 Prozent der Abfälle für die Deponie makelt und in den Schönberg-Verträgen eine wichtige Rolle spielt. Der Kauf stand im Juli 1992 nach taz- Informationen direkt vor dem Abschluß, rund 20 Millionen Mark sollte die Müll-Maklerfirma kosten. Wäre das Land heute in Besitz der AWUS, wäre die Aufhebung der Schönberg-Verträge wesentlich einfacher. Doch Seites Staatskanzlei intervenierte, der AWUS-Deal platzte, und Mecklenburg-Vorpommern beraubte sich so ohne Not seiner Eingriffsmöglichkeiten. Conrad könnte deshalb versuchen, die Verantwortung für das Schönberg-Desaster dem Ministerpräsidenten in die Schuhe zu schieben.
Heute soll im Untersuchungsausschuß zunächst darüber entschieden werden, ob Conrad und seine ehemalige Vorgesetzte Petra Uhlmann in der Schönberg-Affäre der Status der „Betroffenen“ zuerkannt wird. Dies wird mit Sicherheit geschehen. Beide haben dann das Recht, die Ausschußakten einzusehen und jegliche Aussage zu verweigern.
Immerhin will Conrad nach taz- Informationen seinen Anwalt Kubicki von der Schweigepflicht entbinden, wenn ihm die Betroffenenrechte eingeräumt werden: Wenigstens die Handakten Kubickis wären dann frei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen