: Kopf frei zum Lernen
■ Bildungsurlaub unter Beschuß
„Raus aus dem Alltag“ lautet der Slogan von „Arbeit und Leben e.V.“, Hamburgs größtem Anbieter für politische Jugend- und Erwachsenenbildung. „ArbeitnehmerInnen gesellschaftlich relevante Themen in einem Umfeld näherbringen, wo sie den Kopf frei haben“, erläutert Sabine Ketels vom gewerkschaftsnahen Verein, „ist die Möglichkeit, die ein Bildungsurlaub bietet.“ Schichtarbeiter aus der Chemieindustrie, die sich über Waldsterben informieren, Sekretärinnen, die der Geschichte der weiblichen Emanizipation nachgehen, Flüchtlinge, die in betreuten Gruppen über Gewalt sprechen: so und anders kann Bildungsurlaub aussehen.
Berufliche und politische Weiterbildung ist in letzter Zeit unter Beschuß geraten: „Der Trend geht dazu, Lohnnebenkosten in Verruf zu bringen, die Zeichen stehen auf Sozialabbau“, so Klaus Schepe vom Amt für Berufs- und Weiterbildung, zuständig für die Genehmigung der Bildungsveranstaltungen in Hamburg. So fordert zum Beispiel der Bund der Steuerzahler, daß „der Arbeitgeber nicht die Hobbies des Arbeitnehmers mit Urlaub belohnen muß“, wie es Ertrud Erdmann vom Bund in Hamburg nennt, „die Leute haben immer mehr Freizeit, da können sie sich doch ihrer Persönlichkeitsbildung widmen.“
Für den Bildungsurlaub gibt es aber eine gesetzliche Grundlage: Egal ob EDV-Kurs in Hammerbrook oder Spanisch in Barcelona, jede/r ArbeitnehmerIn hat Anspruch auf zwei Wochen in zwei Jahren politische und berufliche Weiterbildung, für die sie/er selbst zahlt. Das übliche fünftägige Seminar kostet zwischen 50 und 1000 Mark. Dem Amt für Berufs- und Weiterbildung stehen jährlich 1,8 Millionen Mark zur Verfügung, mit denen Seminare gesponsort werden, die sich speziell der politischen Bildung von Alleinerziehenden, in Behinderten-Werkstätten Tätigen, ausländischen ArbeitnehmerInnen und sonstigen unterprivilegierten Beschäftigten widmen.
Nur drei Prozent aller Berechtigten machen von ihrem Recht Gebrauch. Trotzdem meint Dr. Achim Zeidler, Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein: „Der zusätzliche Urlaub richtet wirtschaftlichen Schaden an. Der ist nur durch hohen beruflichen Nutzen der Veranstaltung aufzuwiegen.“ Strittig ist hier, was denn unter beruflichem Nutzen zu verstehen ist. „Es geht immer auch um den Erwerb von sogenannten Schlüsselqualifikationen wie Rhetorik, Teamgeist und ähnlichem“, führt Schepe aus, „das Prinzip des lebenslangen Lernens dadurch umzusetzen, daß Erwachsene ihre Lebens- und Berufserfahrung thematisieren, ist keine lustige Freizeitbeschäftigung. Wir prüfen jede Veranstaltung pingelig und reagieren auf Rückmeldungen von TeilnehmerInnen.“
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gebe es in Hamburg bisher keine Klagen gegen einzelne Veranstaltungen - das sei der Genehmigungspraxis der Behörde und der Einsicht der ArbeitgeberInnen gutzuschreiben. Hoffentlich bleibt's dabei.
Ulrike Winkelmann
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