: Ein Fürst regiert nun Japan
■ Die Wahl des neuen japanischen Premierministers war von Parlamentstumulten überschattet / Erster Regierungschef aus der Opposition / Boykottmanöver der LDP
Tokio (taz) – „Nach einer schwierigen Geburt wächst das Kind besonders gut“, kommentierte Japans 79. Premierminister, Fürst Morihiro Hosokawa XVIII., gestern seine Wahl zum Regierungschef. Hosokawa, Sohn einer berühmten Aristokratenfamilie aus Südjapan, ist der erste japanische Nachkriegspremier, dessen Regierung geschlossen aus der Opposition hervorgeht.
Der Führer der „Neuen Partei Japans“ gewann die Wahl zum Regierungschef mit 262 von 503 abgegebenen Stimmen. Auf den Gegenkandidaten der bisherigen liberaldemokratischen Regierungspartei, Yohei Kono, entfielen 224 Stimmen. Der kommunistische Parteiführer Tetsuso Fuwa erhielt 15 Stimmen. Zwei sozialdemokratische Abgeordnete stimmten offenbar aus Protest gegen die Koalitionsvereinbarung ihrer Partei für ihren Vorsitzenden Sadao Yamahana, obwohl dieser zugunsten Hosokawas nicht für das höchste Regierungsamt kandidierte.
Die historische Wahl im japanischen Parlament aber war am Freitag lange Zeit von den Boykottmanövern der Liberaldemokraten (LDP) überschattet. Japanische Parlamentarier hatten schon immer ihre Eigenarten: Sie erfanden den „Ochsengang“, einen Trippelschritt, der Abstimmungen im Parlament um Stunden hinauszögern konnte. Oder sie prügelten sich in den Ausschüssen, wenn es um den Abschluß wichtiger Debatten ging. Doch noch nie gelang Nippons demokratischen Lausbuben, was sie gestern im Parlament vorführten: Wie man die Wahl eines Premierministers mit Schülermogeleien verhindert.
Gegen 20 Uhr waren im Plenarsaal des japanischen Unterhauses die Stimmzettel bereits abgegeben, und die Wahl des Premierministers schien abgeschlossen. Nach 38 Jahren ununterbrochener Einparteienherrschaft war der Augenblick gekommen, an dem es nur noch der Ergebniserklärung der wenige Minuten zuvor gewählten Parlamentspräsidentin Takako Doi bedurfte, um ein langes Kapitel japanischer Geschichte endgültig zu schließen.
„Japan befindet sich gemeinsam mit der Welt im Zustand großer Veränderungen“, hatte die Sozialdemokratin Doi als erste Frau in der zweithöchsten Position des Staates feierlich verkündet. Doch da gelang den die Regierung verlassenden Liberaldemokraten noch eine letzte Farce. Gerade wollte der Generalsekretär des Parlaments die Wahlurne auf dem Rednerpult des Plenarsaals schließen, da erhoben sich junge Abgeordnete der LDP auf ihren Bänken zum Protest. Man hätte ihre Namen zur Abstimmung nicht aufgerufen, schallte es an Dois verwunderte Ohren. Doch der Tumult war nicht mehr aufzuhalten.
Später stellte sich heraus, daß der Parlamentssekretär zwar sehr wohl alle Namen zur Wahl aufgerufen hatte, dies jedoch, was zehn LDP-Abgeordnete betraf, nicht in der vorgesehenen Reihenfolge getan hatte. Daraufhin boykottierten die betroffenen LDP-Parlamentarier die Wahl und begründeten dies hinterher mit der Aussage: „Wenn wir an der Abstimmung teilgenommen hätten, hätten wir eine Regelverletzung akzeptiert.“ Aber was blieb Takako Doi anderes übrig: Sie mußte die Abstimmung wiederholen. Um ein Haar hätten die Japaner gestern wieder keinen neuen Regierungschef bekommen.
Die größte Sternstunde der japanischen Demokratie, der Vollzug des ersten vollständigen Machtübergabe seit 1945, war unabänderlich zur würdelosen Veranstaltung degradiert. Vor der Einberufung des Parlaments zur Wiederholungswahl am späten Abend trieb die LDP ihr Späße dann noch weiter: Weil eine Hintertür des Plenarsaals während der Tumulte offengestanden hätte, wären einige Abgeordnete bereits nach Hause gegangen und ständen für eine zweite Abstimmung nicht mehr zur Verfügung, ließ die LDP- Führung verlauten. Man beantrage deshalb – vergeblich – die Aufschiebung der Wahl bis Montag. Georg Blume
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