: Kaputtmalocht bei Klöckner
■ Zwei Drittel der Klöckneraner sterben vor der Rente oder scheiden wegen Krankheit aus
Kaputtmalocht bei Klöckner
Zwei Drittel der Klöckneraner sterben vor der Rente oder scheiden wegen Krankheit aus
Wie gern hat Fritz Iwohn Mundharmonika gespielt! Dafür fehlt ihm jetzt die Luft — schuld ist die Asbestose. Auch mit Feiern gehen ist es vorbei — zu oft muß er mittlerweile abhusten. Schnell reibt sich der Mann mit der Faust eine Träne von der Backe. Fritz Iwohn mußte mit 58 Jahren in Rente gehen. Davor hat er 27 Jahre bei Klöckner gearbeitet, im Schichtdienst den Rohstahl ausgewalzt. Jetzt ist er kaputtmalocht, wie es im Klöcknerjargon heißt.
„Kaputtmalocht“ — darüber wollen die Klöckneraner zur Zeit nicht nachdenken, im Gegenteil: „Die melden sich noch nicht mal mehr krank, die malochen, bis sie umfallen“, berichtet Dieter Häring, der Vertrauensmann für die Schwerbehinderten. Dabei sind die Zahlen erschreckend: Zwei Drittel scheiden vorzeitig aus oder sterben, bevor sie das Rentenalter erreichen.
Bremen liegt mit seiner Krankheitsrate in der Stahlindustrie ganz vorne: Kein Wunder, meint Häring, hier habe man die höchste Produktivität mit den wenigsten Leuten. Derzeit wird die Belegschaft noch weiter, auf 4.700, reduziert, die Arbeit aber wird nicht weniger.
Kaputtmalocht sind nicht nur die, die mit Asbest in Berührung gekommen sind, sondern vor allem die Schichtarbeiter. Sieben Tage Frühschicht, ein Tag frei, sieben Tag Spätschicht, zwei Tage frei, dann sieben Nachtschichten und zehn Tage frei — irgendwann können die Leute überhaupt nicht mehr schlafen. Herzinfarkte schon mit 45 sind keine Seltenheit. Sehr viele sind magenkrank. Und der Streß nimmt noch zu, sagt der Vertrauensmann: Jetzt ist auch noch die Gruppe der Springer zusammengestrichen worden. Dazu wird die Arbeit immer einsamer: Wo früher drei Leute auf der Steuerbühne standen, steht jetzt oft nur noch einer.
„Aber du hast ja für die Schichtarbeit auch steuerfrei Zulagen gekriegt, was beklagst du dich also“, bekommen kranke Schichtarbeiter oft zu hören. Doch für ihre Asbestose erhalten sie nur in sieben Prozent der Fälle eine Entschädigung. Außerdem liegt, trotz aller Schichtarbeit, der Rentendurchschnitt bei Klöckner zwischen 1.400 und 1.700 Mark, sagt Dieter Häring. Manche, so erzählt er, fragen sich, warum sie eigentlich nicht schon mit 50 rausgegangen sind und Sozialhilfe beantragt haben. Dann hätten sie jetzt kaum weniger Geld, wären aber viel gesünder.
Doch die wenigsten Deutschen beantragen eine Entschädigung für ihre beruflich bedingten Krankheiten. Sie betrachten Krankheit als Schicksal, erklärt Hans-Georg Isenberg, Arbeitswissenschaftler und Mitglied der Arbeitsgruppe „Kaputtmalocht — was dann?“ Dagegen die ausländischen Kollegen: Sie können sich noch gut erinnern, wie gesund sie waren, als sie herkamen. Sie sind nicht in einer Industriegesellschaft sozialisiert worden. „Die haben uns geholt“, sagen sie, „und wir haben unsere Gesundheit hier gelassen, aber gegeben haben die uns nix dafür, jetzt sind wir Müll.“ Solche Klagen hört Isenberg oft. Da haben sie 20 Jahre lang malocht, vor allem im Heißbereich, also am Hochofen, in der Flämmerei und der Haspelgrube, und jetzt sind sie „Sozialfälle“. Die ausländischen Kollegen stellen viel eher noch als die Deutschen Anträge auf Anerkennung als Schwerbehinderte, um trotz Krankheit noch im Betrieb bleiben zu können.
Doch wohin mit den rund 800 „Angeschlagenen“ und den 250 anerkannt Schwerbehinderten bei Klöckner? Rausgeschmissen wird hier keiner, sagt Vertrauensmann Häring, schlimmstenfalls „verdrängt“ über die Schiene Sozialplan. Den Jüngeren kann man das nicht antun. Doch die wenigen „leichteren“ Arbeitsplätze im Betrieb, auf die man „Angeschlagene“ bisher umgesetzt hat, werden zusammengestrichen: der Reinigungs-, der Boten- und Postdienst und der Werkschutz.
„Angeschlagene“ können meistens keine Hitze, keine Kälte, keinen Staub mehr ab, sie ertragen keine Schichten mehr und dürfen keine Lasten tragen. Aber sie haben Erfahrung, sind also eigentlich nur „Leistungsgewandelte, nicht Leistungsgeminderte“, sagt Häring. Sein Ziel: Die Leute weiterqualifizieren, damit sie zum Beispiel Steuerungsfunktionen übernehmen können.
Einfach ist das nicht, wenn gleichzeitig abgebaut wird - aber der Klöckner-Betriebsrat war immer schon etwas linker als andere, meinen Häring und Isenberg und grinsen. Christine Holch
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