: Zeitgeist-Genetik Von Mathias Bröckers
Kaum hatten amerikanische Zeitungen vergangenen Monat über die Entdeckung des „Gay Gens“ berichtet – eines „Xq 28“ genannten Abschnitts des X-Chromosoms, der homosexuelle Orientierung programmieren soll, tauchten in Washingtons Szene-Läden die ersten T-Shirts auf: „Xq 28, Thanks Mom“. Genetische Informationen auf den von der Mutter übertragenen X-Chromsomen könnten nach den Ergebnissen einer Studie für eine homosexuelle Prägung verantwortlich sein. Molekularbiologen hatten die Familien-Stammbäume 76 schwuler Männern untersucht und eine signifikant hohe Anzahl gleichgesinnter Brüder sowie Cousins und Onkel gefunden – alle von der mütterlichen Seite der Familie. Daraufhin studierten sie die DNA 40 homosexueller Brüderpaare und fanden in 33 Fällen eine Gruppe identischer Sequenzen, alle innerhalb eines relativ kurzen Abschnitts des X-Chromosoms. Ein spezifisches Gen haben die Forscher noch nicht identifiziert. Wird aber ihre Entdeckung von weiteren Experimenten bestätigt, wäre das erste „Verhaltens-Gen“ im menschlichen Genom zumindest lokalisiert.
Viele Zeitungen haben die Entdeckung als Durchbruch für die Molekularbiologie und das mit der Kartographierung der DNA befaßte „Human Genom Project“ bezeichnet, einige Gay-Aktivisten haben „Xq 28“ warm begrüßt, weil es ihre Einschätzung bestätigt, daß Schwulsein weniger eine Frage der Wahl, sondern eher der biologischen Veranlagung sei. Dennoch müßte sich die Freude aber auch bei ihnen in Grenzen halten. Nicht nur wegen der Konsequenzen für den schwulen Nachwuchs, der künftig genetisch einfach abgeschaltet werden könnte, sondern auch wegen der Frage, warum eine solche Studie erst jetzt durchgeführt wird. Mütterlichen Chromosomen-Linien konnte man auch schon vor 40 Jahren nachgehen, doch die Genetiker interessierten sich nicht dafür. Statt dessen faßte man die Gefühle Homosexueller noch bis Anfang der 70er Jahren als Krankheit auf. In den 50ern wäre eine Studie mit dem Ergebnis, daß Homosexualität vererbbar sein könnte, ein Befreiungsschlag für eine verfolgte Minderheit gewesen, heute wirft sie ein weiteres suspektes Licht auf die Zunft der Genetiker: Ihr wissenschaftliches Interesse regte sich in dem Augenblick, wo Toleranz gegenüber Homosexuellen dem Zeitgeist entspricht. Und es ist wohl kein Zufall, daß diese Studie von dem umstrittenen „Human Genom Project“ angeregt wurde: Nachdem die Genjäger mit ihren vorlaut verkündeten Entdeckungen genetischer Wurzeln der Depression, der Schizophrenie oder des Alkoholismus eingeknickt waren, mußte dringend etwas her, das die hehre Güte dieses Frankenstein-Projekts unter Beweis stellt. Die heiße Debatte um schwule Gleichberechtigung in der US-Army mag den Genetikern gerade recht gekommen sein.
Wenn demnächst wieder mal einer Antwort stehen muß über die ethischen Konsequenzen seiner Wissenschaft, werden wir etwas Neues über ihren unabstreitbaren Nutzen zu hören kriegen: Ihre vorbildliche Gleichberechtigung durch neu geschaffene Streicheleinheiten verdankt die Army nur den Ergebnissen der Genforschung.
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