Unerträgliche Rahmenbedingen

■ betr.: "Die Scheinheiligen" (Zwei schein-schwangere taz-Reporterinnen auf der Jagd nach dem 218-Beratungsschein), taz vom 24.7.93

betr.: „Die Scheinheiligen“ (Zwei schein-schwangere taz-Reporterinnen auf der Jagd nach dem 218-Beratungsschein),

taz vom 24.7.93

[...]Wir Beraterinnen sind vom Urteil des BVG nicht nur als Frauen betroffen, sondern auch in unserer beruflichen Ethik. Der Gesetzgeber sieht in uns einerseits die Retterinnen der Nation, andererseits traut er uns aber nicht, sondern meint, uns kontrollieren zu müssen (Protokoll).

Für den größten Teil der Bevölkerung, besonders für die betroffenen Frauen, sind wir dagegen die „Buhfrauen“. Unfreiwillig müssen sie zu uns kommen, sehen in uns eine moralische Instanz, erwarten von uns alles andere als Hilfe und wappnen sich, so unbeschädigt wie möglich das Beratungsgespräch zu überstehen. Wie kann auch eine erwachsene, mündige Frau, die gezwungenermaßen zu mir kommt, die (auch aufgrund der Medieninformationen) mich als moralische Richterin sieht, sich mir anvertrauen, ihre intimsten, persönlichen Probleme mitteilen (falls sie welche hat).

Ich komme mir recht blöd vor. Meine Kompetenz als psychologische Beraterin wird durch die unerträglichen Rahmenbedingungen untergraben.

Ich kann keine verläßlichen Statistiken bieten, wage aber zu behaupten, daß 90 Prozent der Beraterinnen das Urteil ablehnen (auch wir sind Frauen, die meisten im gebärfähigen Alter, können in die gleiche Situation wie unsere Klientinnen kommen). Ein Großteil von uns würde diese „Beratung“ nicht mehr machen, wenn dies finanziell möglich wäre. Daß trotz alledem die meisten Beraterinnen weitermachen, liegt auch an unserem Verantwortungsgefühl den Frauen gegenüber (ohne Schein kein straffreier Abbruch).

Die Übergangsregelungen geben den Beratungsstellen soviel Macht, daß uns davor graust, wenn „Lebens“schützer eine Beraterlizenz bekommen würden. Unsere aktuelle Situation ist also so, daß wir Ausführende eines Gesetzes sind, das wir ablehnen.

„Glücklicherweise“ sind die Auflagen für die Beratung derart unklar und widersprüchlich, daß wir weiterhin die Beratungsbescheinigung ausstellen dürfen, ohne die Frauen moralisch unter Druck zu setzen.

[...] Trotz der katastrophalen Rahmenbedingungen bieten wir nach wie vor eine professionelle Beratung an, falls sie gewünscht wird. Hat sich eine Frau für den Abbruch entschieden, können wir außerdem Informationen sowohl über die verschiedenen Preise der Ärzte (Steigerungen bis über 100 Prozent) als auch über Finanzierungsmöglichkeiten geben.

Als besonders hirnverbrannt hat sich die Auflage der Verfassungsrichter gezeigt, die Frauen über öffentliche und private Hilfen zu informieren, wenn nicht gleichzeitig vom Staat diese Hilfen angeboten werden! Bei den beabsichtigten Kürzungen im sozialen Bereich kann ich meinen Klientinnen kaum noch verbindliche Aussagen machen, wie die Situation in neun Monaten ist.

Die beiden wichtigsten Probleme: fehlender geeigneter Wohnraum und fehlende Kinderbetreuung, können wir Beraterinnen nicht lösen.

Im Grunde genommen ist es verwunderlich, daß es noch so viele Frauen gibt, die eine ungeplante Schwangerschaft fortsetzen und sozialen Abstieg, wirtschaftliche Misere und totale Änderung ihres Lebensplanes in Kauf nehmen. Ihre Opfergrenze ist wesentlich höher angesetzt als die der Männer, die dieses Gesetz gemacht haben. Traudel Pothen-Salvati,

Diplom-Psychologin,

Paragraph-218-Beraterin