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In Marokko ist Freiheit kein Spiel ohne Grenzen

Der Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen ist König Hassan keineswegs ein Dorn im Auge / Die Monarchie weiß Kritik an Menschenrechtsverletzungen und der Westsahara-Politik wirkungsvoll zu unterdrücken  ■ Von Berthold Kuhn

Im „Amnesia“, der größten und modernsten Diskothek im Maghreb, spielt der Diskjockey heute abend Acid-House-Musik. Letztes Wochenende kam das Publikum in Lack und Leder. Besitzer des amerikanisch gestylten Vergnügungstempels in der marokkanischen Hauptstadt Rabat ist Prinz Sidi Mohammed, der erstgeborene Sohn und designierte Thronfolger von König Hassan II.

„Hena fil Maghreb kul schi mumkin“ – „hier in Marokko ist alles möglich“, hört man oft. König Hassan II präsentiert sein Land gerne als besonders progressiv und liberal. Im „Amnesia“ vergnügen sich die modebewußten Söhne und Töchter der marokkanischen Elite. Fast ist das Nightlife-Ambiente perfekt, es fehlen nur die Schmierereien auf den Toiletten. Kein kritisches Wort gegen Autoritäten. Nirgends steht „Fuck the monarchy“.

Wer sich in Marokko an gewisse Spielregeln hält, kann sich nicht nur im Nachtleben vergnügen, sondern auch erfolgreich in Politik und Gesellschaft wirken. Zu diesen Spielregeln gehört, daß Kritik an der Monarchie, an Menschenrechtsverletzungen königstreuer Kräfte und an der offiziellen Westsahara-Politik verboten ist. Solche Fragen soll man schlicht vergessen. Der Name der Diskothek ist insofern durchaus Programm. An diese Regeln halten sich auch die zugelassenen politischen Parteien, allenfalls melden sie vorsichtige Kritik an, was die Verletzung von Menschenrechten betrifft.

Bei den Parlamentswahlen Ende Juni hat das Oppositionsbündnis aus Sozialistischer Union der Volkskräfte (USFP) und nationalkonservativer Istiqlal-Partei einen Sieg über die bisherigen Regierungsparteien errungen. Obwohl noch die Ernennung von 111 der insgesamt 333 Abgeordneten aussteht, die nicht direkt vom Volk gewählt werden, ist damit zu rechnen, daß die USFP und die Istiqlal- Partei diesmal die Regierungsmannschaft bilden.

Die Allianz zwischen den beiden Parteien ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn ihre politischen Ausrichtungen weisen einige Gegensätze auf. Die USFP steht in einer sozialistischen und gewerkschaftlichen Tradition. Ihre Führungskräfte sind immer wieder willkürlichen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen von seiten königstreuer Kräfte ausgesetzt gewesen. Die Istiqlal-Partei sieht sich als Interessenvertretung der wertkonservativ und national gesinnten arabischen Bourgeoisie.

Doch in einem politischen System, das durch die absolute Stellung des Königs geprägt ist, sind programmatische Unterschiede nicht unbedingt von entscheidender Bedeutung. Der König steht als weltlicher Herrscher über der Verfassung und beansprucht zusätzlich religiöse Legitimität – als Nachfahre des Propheten Mohammed, dem Gründer des islamischen Glaubens. Der Parteienpluralismus gibt dem System eine demokratische Fassade und stärkt dadurch indirekt die Monarchie.

König Hassan versteht es sehr geschickt, sich im In- und Ausland als frieden- und einheitstiftender Herrscher darzustellen. Der marokkanischen Intelligenz läßt er in vielen gesellschaftlichen Bereichen große Entfaltungsmöglichkeiten. Im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich bestehen in Marokko gute Aus- und Fortbildungschancen. In den letzten Jahren sind zudem zahlreiche Organisations- und Vereinsgründungen zu beobachten, vor allem in den Bereichen Umweltschutz, Kultur und Gesundheit. Auch betreibt Marokko bereits seit 1975 offiziell eine Dezentralisierungspolitik. Die Rechte der Kommunen sollen gegenüber den zentralstaatlichen Instanzen aufgewertet werden.

All dies macht Marokko für die Staaten Europas und die USA zu einem interessanten Partner im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Im Gegensatz zu vielen ärmeren afrikanischen Staaten ist Marokko in der Lage, eigene Vorleistungen für die Realisierung von Projekten zu erbringen. Gerade im Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes verfügt Marokko über ein beachtliches Know-how. Die nationale Wasserbehörde „Office National de l'Eau Potable“ (ONEP) hat sich sehr erfolgreich im Bereich der Trinkwasserversorgung engagiert und soll sich zukünftig auch um Abwasserentsorgung kümmern. Die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit besonders in Mode. Im Zuge zunehmender Vereinsgründungen kann Marokko auch in diesem Bereich ein günstiges Investitionsklima für ausländische Unterstützung anbieten.

Trotz des blutigen Westsahara- Krieges gegen die sahraouische Polisario, trotz Menschenrechtsverletzungen und Wahlfälschungen gelingt es König Hassan II, umfangreiche ausländische Unterstützung zu mobilisieren. Sein diplomatisches Geschick, sein politisches Feingefühl sind unbestritten. Alles spricht dafür, daß Hassan auch die jüngsten Ergebnisse der Parlamentswahlen zu seinen Gunsten verwerten wird. Der Sieg der Opposition stärkt die demokratische Fassade des politischen Systems in Marokko gegenüber dem Ausland und stabilisiert gleichzeitig die innenpolitische Lage durch notwendige machtpolitische Zugeständnisse an die Opposition. Die Herrschaft des Königs ist immer noch unangetastet.

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