: Eingreifen, wenn alle tot sind?
Die Serben halten Sarajevo im Würgegriff. Das größte Militärbündnis der Welt, die NATO, steht säbelrasselnd bei Fuß. Bosnien ist für die USA ein humanistisches Problem, das militärisch gelöst werden soll. UNO und NATO blockieren einander
Die Bilder gleichen sich ebenso wie die Meldungen. Am 26. August 1992 kündigte George Kenney, bis dahin im Außenministerium der Bush-Administration der für Ex-Jugoslawien zuständige Beamte, seinen Job und protestierte damit öffentlich gegen die untätige Haltung seiner Regierung. Am 5. August 1993, räumte Marshall Freeman Harris, bis dahin unter der Clinton-Administration der für Bosnien zuständige Beamte, seinen Schreibtisch und protestierte damit öffentlich gegen die untätige Haltung seiner Regierung. Am 8. August 1993 trat John Western, bis dahin im US-Außenministerium der für Kriegsverbrechen zuständige Beamte, von seinem Amt zurück und protestierte damit öffentlich gegen die untätige Haltung seiner Regierung. Die Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet, die an allen Tagen über die Fernsehschirme laufen, sind austauschbar: Raketen- und Granateneinschläge in Sarajevo, verwundete Zivilisten im Krankenhaus der Stadt, verstörte Menschen in Flüchtlingslagern.
Drei Kündigungen aus Protest gegen die offizielle Politik — das kommt im US State Department einem kleinen Erdbeben gleich. Sie machen deutlich: Nachdem das militärische und politische Schicksal der bosnischen Regierung, ihrer Armee und ihres Staates faktisch besiegelt ist, hat sich Bosnien für die USA von einer militärisch- politischen Herausforderung in ein militärisch-humanitäres Problem verwandelt. Washington hat die Aufteilung des Landes akzeptiert.
Die US-Regierung wolle „den Verhandlungsprozeß in Genf bestärken“ und die humanitären Probleme in Sarajevo angehen, machte am Freitag der für Europa zuständige stellvertretende Außenminister Stephen Oxmann in einem Fernsehinterview deutlich. Um im Rahmen dieser Vorgabe die bosnische Hauptstadt vor der Eroberung oder dem Aushungern durch die Serben zu bewahren, ist das Pentagon bereit, Luftangriffe auf serbische Stellungen zu fliegen. Aus Protest gegen diesen neuerlichen Schwenk reichte Harris seine Kündigung ein. „Unsere Prinzipien, wonach multiethnische Gesellschaften ebenso wichtig wie möglich sind, wird in dem Moment sterben, in dem die bosnische Regierung gezwungen wird, an David Owens Opfertisch ihre Unterschrift zu leisten“, schrieb er in einem offenen Brief an Außenminister Christopher und forderte die Clinton-Administration auf, jede Unterstützung für die Genfer Verhandlungen aufzukündigen.
Bereits im April hatten zwölf Balkan-Experten im Außenministerium einen internen Protestbrief an ihren Chef Warren Christopher geschrieben, in dem sie eine militärische Intervention gegen die Serben in Bosnien forderten. Der Brief blieb ebenso folgenlos wie ein 30seitiges Memorandum von Beamten des State Department an die Bush-Administration vor einem Jahr. Andere machen ihrer Frustration dadurch Luft, indem sie als „vertraulich“ deklarierte Strategiepapiere an die Presse lancieren.
Nun entzündet sich der Unmut nicht allein an der Bosnienpolitik der Administration, sondern letztlich an der Frage, welche weltpolitische Rolle die USA nach dem Ende des Kalten Krieges und nach dem Ende von zwölf Jahren republikanischer Administrationen spielen sollen. Da wird inner- und außerhalb des Außenministeriums verzweifelt eine „Clinton-Doktrin“ gesucht, die es bislag nicht gibt. Clintons Credo aus dem Wahlkampf, wonach der weltpolitische Status der USA in Zukunft in erster Linie von der ökonomischen Verfassung des Landes abhängig sein wird, ist bislang kein kohärentes Konzept gefolgt. Manche wollen erste Spurenelemente auf dem letzten G-7-Gipfel in der Frage der GATT-Verhandlungen und des geplanten „Gipfeltreffens zur Arbeitslosigkeit“ erkannt haben. Doch andere schreiben diesen erfolgreichen außenpolitischen Auftritt eher seinem Talent für Symbolik und Performance zu.
Ansätze eines außenpolitischen Konzeptes tauchen schon eher in einem Strategiepapier der Administration auf, das bezeichnenderweise wieder durch eine undichte Stelle an die Presse gelangte, bevor es dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt worden ist. In einem Entwurf für eine „Presidential Decision Directive“ haben die nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten sowohl die Grundrisse einer zukünftigen Kooperation mit der UNO bei Friedensmissionen als auch einer unilateralen „präventiven Diplomatie“ der USA formuliert. Demnach will man friedenserhaltende und friedensschaffende Operationen der UNO militärisch, finanziell und politisch unterstützen — ohne sich allerdings verbindlich festzulegen.
Sollte Clinton die Direktive unterzeichnen, womit zu rechnen ist, würde die Administration damit erstmals offiziell festlegen, daß US-Truppen unter UN-Kommando zu Einsätzen entsandt werden können. Doch die Militärs unter Führung ihres Generalstabs haben sich ausbedungen, daß sich die USA jederzeit Truppen aus UNO- Einsätzen abziehen und amerikanische Kommandanten Befehle einer UNO-Einsatzleitung verweigern können, wenn sie ihnen „militärisch unklug“ erscheinen.
Das wird aber wohl kaum nötig sein. Die US-Regierung findet unter das Dach der UNO just zu einem Zeitpunkt, in dem letztere von Bosnien bis Somalia zunehmend unbeweglich erscheint. Die dringend nötige Finanzspritze für Ausbau und Professionalisierung der völlig überlasteten UN-Einsatzzentrale für Friedensmissionen in New York ist nicht in Sicht. Die Clinton-Administration möchte die Zentrale ausbauen und professionalisieren, doch das dafür nötige Geld soll UNO-Botschafterin Madeleine Albright in Tokio und Bonn suchen. Andrea Böhm, Washington
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