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„So sollten sie mal die großen Häuser fördern!"

■ Die Bremer Kindertheaterszene wird zerschlagen / Das Kulturressort ist ohne Konzept und rettet sich in den Wettbewerb

Dunkle Wolken am Horizont für die Sternguckerin Lilli Puppenfee. Sieben Köpfe haben entschieden, daß sie nicht mehr mit den Kinderzimmergeistern zum Mond fahren und den Großen Wagen vom Himmel holen darf. Zumindest nicht auf Kosten des Bremer Senats. Anfang Juli hat die Kindertheater-Jury im Kultursenat beschlossen, künftig keine Zaubereien, Clownereien, Gaukeleien, Märchen und Musikspektakel für Kinder in Bremen mehr zu fördern. Die Bürgerhäuser, Bibliotheken und der Schlachthof tun sich jedoch schwer, diese Veranstaltungen aus eigener Tasche zu zahlen. Die betroffenen KünstlerInnen werden aus der Stadt gedrängt.

Erst durch die bedauernden Absagen ihrer VeranstalterInnen haben die Kindertheaterleute von dieser Entscheidung erfahren. Begründet wurde sie ihnen gegenüber nicht. Die Jury spricht sich nur gegen zuviel Kleinkunst und Variete für Kinder aus, will mehr konventionelles Theater. Friedrich der Zauberer alias Holger Meierdierks: „Keines der Jurymitglieder hat sich eines meiner Stücke je angesehen, sonst hätten die wohl gemerkt, daß ich gar nicht zaubern kann. Ich spiele Geschichten um einen Zauberer. Das ist doch wieder mal ein totales Durcheinander und überhaupt kein Informationsaustausch!“

Früher hatten die KinderkünstlerInnen einen engen Kontakt zu der Jury im Senat gehabt, sie hatten die Gruppe aus Pädagoginnen, Theaterleuten, AkademikerInnen, AutorInnen und JournalistInnen gar selbst ins Leben gerufen. In den frühen Achtzigern war das gewesen — die freie Bremer Kindertheaterszene war damals im Umbruch. Nicht ganz unfreiwillig, denn die Szene war finanziell in die Enge getrieben worden.

30 SchauspielerInnen bekamen damals en bloc 50.000 Mark Wettmittel-Zuschuß, und dem Piccolo, einer selbstgegründeten Arbeitsgemeinschaft, war es vorbehalten, das Geld per Gießkanne auszuschütten. „Piccolo, das war der Versuch gewesen, ein Kindertheater-Ensemble aufzubauen,“ sagt Reinhold Schäfer. Mitte der siebziger Jahre gehörte er zu den Mitbegründern der AG. Heute, als Sprecher der Sektion Theater im Kulturrat, resümiert er: „Nach zwei Jahrzehnten endete diese Idee als Werbegemeinschaft für die einzelnen Künstler.“

Piccolo hatte eine eigene Spielstätte auf dem Orchesterboden im Packhaus und später im KUBO und netwickelte dort die Kinder-Revue Pikobello Aber die Gruppe hätte eine eigene Förderung gebraucht, die es nie bekam. Reinhold Schäfer: „Das war schon spannend. Wir wollten daraufhin selbst ein Kindertheater-Konzept entwickeln, aber am Ende waren wir nur mit dem Verteilen der Behördengelder beschäftigt.“ Bis die Piccolo- Leute Geld und Verantwortung in einer spektakulären Aktion an den Senat zurückgaben und die Gründung der Jury initiierten.

Der Behörde kam's gelegen: Die einzelnen KünstlerInnen kümmerten sich nun anderweitig um Geld, die Szene fiel auseinander und hat sich schließlich „entpolitisiert“, sagt Schäfer. „Eine Kindertheater-Bewegung gibt es nicht mehr.“

Neben den hausinternen Gruppen MOKS im Goethe- Theater und MoKi im Ernst- Waldau-Theater existiert außer dem Puppentheater Packhaus im Theatrium heute kein festes Kindertheater in Bremen mehr: Im Piccolo fiel vor zwei Jahren der Vorhang. Trudes Klappertopf-Theater, Christian Haisch's Narrenschiff oder Majannes Theater aus der Kiste treten nur noch (so die sich's überhaupt leisten können) in Kindergärten und Schulen auf. Viele Kinder- KünstlerInnen haben kaum mehr eine Chance, in Bremen öffentlich aufzutreten. Ihre Forderung nach einem eigenen Theaterraum in Bremen ist ohne Antwort geblieben; für sie ein Zeichen dafür, daß das Kindertheater als eigene Kunstgattung hier nach wie vor nicht ernstgenommen wird.

Die Ausschreibung des neuen Kindertheater-Wettbewerbs erzeugt da nur noch mehr Unwillen: Vier mal 10.000 Mark vergibt Kultursenatorin Helga Trüpel in diesem Jahr an die besten innovativen Stücke. „Eine völlig unsinnge Aktion“, findet Eva Spilker, Mitbegründerin vom Piccolo und heute Figurentheaterkünstlerin in Soloregie. „Zuerst muß ich ein Stück vorproduzieren und dann kriege ich vielleicht einen Preis, ich bin ja nicht verrückt. So sollten mal die großen Häuser gefördert werden! „ Silvia Plahl

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