: Kontaktsperre und vernagelte Fenster
In Rumänien hat sich kaum etwas an der üblen Behandlung der Spitzenturnerinnen geändert / Schläge und Medikamentenmißbrauch im berüchtigten Turninternat von Deva ■ Von Thomas Schreyer
Berlin (taz) – Nur ein Moskitonetz regelt die Frischluftzufuhr. Die Fenster sind vernagelt und vergittert. Sie lassen sich nicht öffnen. Eingesperrt, von der Außenwelt abgeriegelt, waren die Kunstturnerinnen im Rumänien der „Epoche Ceausescu“. Ceausescu ist tot, aber sein Geist lebt weiter: Wie früher werden auch heute die Fenster vernagelt und vergittert, sind auch heute die Turnerinnen unter totaler Kontrolle des Machtapparates. Lavinia Milosovici, mehrfache Weltmeisterin und zweifache Goldmedaillengewinnerin von Barcelona, lamentiert: „Wir können nicht einmal rausgucken!“ Und Team-Gefährtin Mirela Pasca ergänzt: „Wir dürfen auch nicht mit unseren Schulkameradinnen sprechen.“
Sobald ein rumänisches Kind als „erfolgsverdächtig“ gilt, wird es von den Trainern zum Weitermachen gedrängt: Den Eltern wird gesagt, daß sie sonst alle Kosten zu tragen hätten, die durch die Ausbildung entstanden sind – Hotel-, Flug- und Trainerkosten, die sich schnell zum Jahresverdienst eines Arbeiters mit Durchschnittseinkommen addieren.
Das verschafft den Trainern eine mächtige Position gegenüber Eltern und deren Kindern. Sie haben praktisch freie Hand, „und dabei werden die Kinder auch immer wieder geschlagen, bis Blut fließt. Dabei zielen die Trainer häufig auf die nackten Beine der Mädchen, schlagen aber auch ins Gesicht oder prügeln gar mit Gegenständen“, erinnert sich Mirela Barbalata, einst rumänische Nationalturnerin. Dabei wird „akzentuiert“: Als Ecaterina Szabo noch nicht bekannt war, wurde sie noch von „Meistermacher“ und Comaneci- Trainer Bela Karoly verprügelt. „Das habe ich selbst gesehen.“ Als mehrfache Europa- und Weltmeisterin und dann auch Olympiasiegerin wurde sie dann „verschont“. Die Karoly-Nachfolger Adrian Goreac, Maria Cosma und Belu Octavian rührten die neue „Königin“ nicht an.
Auch die Medikation hat sich nicht verändert. „Acht Pillen pro Tag“, erinnert sich Mirela Barbalata. Die Kinder wurden gezwungen, Tabletten zu schlucken, und bekommen auch heute noch ihre Pillen. „Uns wurde immer gesagt, es seien Vitamin-Tabletten. Aber es kann alles Mögliche gewesen sein, vielleicht sogar Wachstumshemmer“, deutet sie in Hinblick auf den Zwergwuchs der rumänischen Spitzenturnerinnen an. Aber die strenge Diät bei hoher körperlicher Belastung kann das „turnerische Problem“ der Körperreifung auch ohne Pharmakologie regeln.
„Ich wußte nicht, was wir alles einnehmen mußten. Ich wollte das aber nicht und sammelte das Zeug, bis nach ungefähr zwei Monaten eine ganze Plastiktüte voll war. Die nahm ich mit aufs Zimmer, wo ich alles verschwinden lassen wollte. Als meine Weigerung herauskam, wurde ich von einem der Trainer brutal geschlagen. Wären die Schläge auch dann so hart gewesen, wenn es wirklich nur Vitamintabletten gewesen wären?“
Fakt ist auch, daß die Entwicklung bei den rumänischen Mädchen verzögert ist: „Wir haben unsere Menstruation im Durchschnitt alle erst mit siebzehn oder achtzehn Jahren.“
Wie während der Ceausescu- Zeit müssen die Trainer auch heute Erfolge vorzeigen; aber auch die Turnerinnen selbst setzen sich häufig unter Druck. Zur Selbstmedikation greift, wer seinen Platz an der Sonne bedroht sieht. Ganz hoch im Kurs: „Furantril“, ein dehydrierendes Nieren-Therapeutikum, das, laut Packungsbeilage, verheerende Nebenwirkungen hat – von Anämien über Kreislaufstörungen bis zu Leberschädigungen. „Einige von uns schluckten damals die Pillen dutzendweise, bis Trainerin Cosma dahinterkam und bei den Apotheken in Deva Rezeptpflicht durchsetzen konnte“, erklärt Mirela Barbalata. „Dann gab es das Zeugs eben nur noch gegen Rezept. Aber die, die es immer noch wollten und wollen, waren und sind auf die Beschaffung durch andere angewiesen. Das funktioniert trotz Kontaktsperre und vernagelter Fenster.“ Hören die Furantril-abhängigen Kinder dann mit dem Leistungssport auf, schwemmt der Drogenentzug ihren Körper derart mit Wasser auf, daß sie für einige Zeit Schwierigkeiten beim Gehen und auch beim Atmen haben. „Alle, die das häufig genommen haben, waren danach kugelrund, alle“, versichert Mirela Barbalata.
Abgeschirmt von der Außenwelt sind die Turnerinnen nicht nur in Deva; häufig dürfen sie nicht einmal bei Pressekonferenzen selbst antworten. Oft werden einfach Sprachprobleme vorgeschoben. Abgeschirmt sind sie auch gegen ein Minimum an allgemeiner Bildung. „Einige von uns haben viel gelesen und auf Eigeninitiative viel gelernt. Wer das nicht tat“, blickt Mirela Barbalata zurück, „war nach der Aktivenzeit nahezu Analphabet.“
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